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Doppelleben. Marine Vacth (rechts, hier mit Geraldine Pailhas) verdingt sich in Ozons „Jeune & Jolie“ heimlich als Callgirl.

© Festival

Die ersten Filme in Cannes: Jung, schön, schamlos

Die Eröffnung ging im Regenguss unter. Jetzt gilt's der Kunst: Das Filmfestival Cannes hat erste Filme gezeigt, unter anderem von François Ozon und Sofia Coppola.

Was für ein Beginn! Die Eröffnung am Mittwochabend unter dunklen Wolken, der rote Teppich auf der Treppe zum Festivalpalast von nachmittäglichen Güssen durchnässt (und wegen seiner ständigen Erneuerung von Umweltschützern per Unterschriftenliste als verschwenderisch beschimpft) – und überall anthrazitfarbene Regenschirme, wie sie auch im Kino gern für Begräbnisszenen verwendet werden. Selten so finster geraten, der Start in das glamouröseste Weltereignis des Kinos. Und zur Nacht öffnet der Himmel erst recht seine Schleusen.

Zum Weinen auch die Wahl des Eröffnungsfilms: Wie Millionen von Amerikanern hätte Jurypräsident Steven Spielberg ihn sich am Wochenende zuvor zu Gemüte führen können, wo Baz Luhrmanns „The Great Gatsby“ bisher knapp 60 Millionen Dollar einspielte. Keinerlei Applaus gab es bei der Pressevorführung für dieses globomedial ausgequetschte neueste Vergnügungsstück des australischen Meisters im Schneekugelstoßen. Wie laut und leer und kindisch ist dieser Film geraten, der doch ein genuin erwachsenes Thema verhandelt: die vergebliche Wiedererweckung einer gewesenen Liebe.

Ein Fehlstart auf der ganzen Linie also – und dass Festivalchef Thierry Frémaux das Nachspiel eines US-Erfolgs als „Ausnahme“ bezeichnet, macht die Sache kaum besser. Auch sein Bestehen zumindest auf der internationalen Premiere in Cannes ( Interview vom 15. 5.) ist nur haltbar, wenn man Kanada, wo der Film ebenfalls schon läuft, seinem Nachbarn mal eben eingemeindet. Und was ist mit den kuriosen US-Verbündeten Vietnam und Venezuela, für den die Website imdb.com selbigen frühen Starttermin meldet?

Da flüchten wir lieber flink unter die Kinosonne, sie scheint immerhin reichlich. Und mischen uns unter die Jugendlichen auf der Leinwand, auch sie tummeln sich reichlich, überwiegend auf Abwegen. Am schlimmsten trifft es die halben Kinder in Amat Escalantes Drogendrama „Heli“: In einem entlegenen Nest in den weiten Steppen Mexikos lebt die zwölfjährige Estela (Linda Gonzalez) mit der jungen Familie ihres Bruders Heli (Armando Espitia) und dem Vater unter einem Dach. Eines Nachts versteckt ihr Freund, als Nachwuchsmann einer Spezialeinheit für die Vernichtung von Drogen zuständig, zwei Pakete Kokain im Wassertank auf ebenjenem Dach, und eine Katastrophe beginnt.

Am besten funktioniert der Film als leidenschaftliche Anklage gegen die totale soziale Dekonstruktion, die der mexikanische Drogenkrieg ausgelöst hat. Entsprechend überdeutlich setzt er auf den Schock durch Gewaltbilder – tiefe Publikumsseufzer, als einem Hündchen, kracks, der Hals umgedreht wird – und auf die Ausstellung des gewählten Elendsmilieus. Narrativ wirkt seine Sprunghaftigkeit dagegen eher ungeschickt als unkonventionell. Wie viel geschmeidiger geht dagegen François Ozon vor in seinem Mädchenporträt „Jeune & Jolie“ – Ozon, der elegante Illustrator französischer Familienbefindlichkeiten, oder sollte man sagen: der Routinier?

Los geht es mit Ferien im Süden, fast wie in „Swimmingpool“ (2003), seiner feinen Krimifarce mit Ludivine Sagnier und Charlotte Rampling. Rampling hat diesmal eine kleine Rolle, das Luder spielt die hübsche Marine Vacth. Die 17-jährige Isabelle wächst in gutbürgerlichem Milieu mit jüngerem Bruder, Mutter und nettem Stiefvater auf und beginnt sich auf eigene Rechnung als Callgirl zu prostituieren. Bei älteren Männern, die sie ins Hotel bestellen, gibt sie sich als 20-jährige Studentin aus und hortet die Euro-Scheine zu Hause im Kleiderschrank.

Ein tragischer Zwischenfall ist es dann, der alles – nicht wirklich tragisch – aus dem Gleichgewicht bringt. Ozon filmt die in vier Jahreszeiten aufgeteilte, von schönen Françoise-Hardy-Chansons untermalte Geschichte so erotisch wie kulinarisch; für die Motive Isabelles interessiert er sich weniger. Als einziger Charakter des figurenreichen Alltagsdramas bleibt sie, die in nahezu jeder Einstellung dekorativ zu sehen ist, merkwürdig unkonturiert. Kein Wunder, dass ihre sorgfältig ausgestellte Beziehungslosigkeit zu Mitschülern und Verwandten bald wachsendes Desinteresse schürt, bis hin zum irgendwie sinnstiftenden Finale.

Richtig locker macht sich dagegen Sofia Coppola mit „The Bling Ring“, den das Festival zur Eröffnung der Nebenreihe „Un certain regard“ zeigt. Sie reinszeniert, aufmerksam geworden durch einen Artikel in „Vanity Fair“, einen fait divers aus Los Angeles. Fünf Kids plündern einen Sommer lang die leer stehenden Villen von Stars so schamlos, dass sie bald gefasst und teils zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Abgesehen von der sarkastischen Pointe jener 15 Minuten Ruhm, die auch mit einer Verhaftung einhergehen können, weidet sich der Film an purer Oberfläche: „Shopping“ nennt die Teeniegang ihre Einbrüche bei Lindsay Lohan oder Paris Hilton, der Rest sind die üblichen Trophäennamen aus der Welt der Modemagazine. Das Motiv dieser Kids immerhin ist klar: Sie wollen so aussehen und so Party machen wie die Idole, von den Klamotten bis zum Koksen, und sonst gar nichts.

Laut und leer wie in Luhrmanns „Gatsby“ dröhnt offenbar diese unsere Welt, der sich die Filmemacher in Cannes bislang kaum mehr als ablauschend und abbildend nähern. Wo aber Trara ist, wächst das Rettende nach. Hoffentlich.

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