zum Hauptinhalt

Kultur: Die Familie tanzt

Die Deutsche Filmakademie vergibt erstmals die Lolas – und setzt auf herzerwärmende Stoffe und Figuren

Zum Beispiel Burghart Klaußner, nach Mitternacht im Foyer der Philharmonie (es versprüht trotz allen festlichen Umgestaltungsaufwands irgendwann den geweißten Betoncharme eines Oberstufenzentrums, aber das stört nicht weiter): Völlig begeistert erzählt der für seine Rolle in „Die fetten Jahre sind vorbei“ frisch gekürte Lola-Preisträger von seinen Sichtungserfahrungen als Mitglied der Deutschen Filmakademie. Auf Kassette und sogar auf dem Laptop habe er – zwecks Votum für den Deutschen Filmpreis – so tolle Filme gesehen, „da wär’ ich doch sonst im Kino nie zu gekommen!“ Den Dokumentarfilm „Rhythm is it!“ etwa über das Projekt der Berliner Philharmoniker mit Jugendlichen, und darin erst dieser fantastisch mitreißende Dirigent Simon Rattle!

Oder Volker Schlöndorff, Hans Weingartner und Dani Levy, unlängst am Rande des Tagesspiegel-Gesprächs: Auf einmal ist man bei Maren Ades nominiertem Erstlingsfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“, eine Entdeckung für alle drei. Und los geht das gemeinsame Rumspinnen darüber, wie man durch das Sichten der Kollegenfilme plötzlich Lust bekommt, mit dieser oder jenem zu arbeiten beim nächsten Mal. Einfach, weil man sehr bewusst und besonders genau hingeschaut hat.

Man möchte meinen: Solche Neugier sollte selbstverständlich sein. Doch so viel Zeit und systematische Aufmerksamkeit für die Hervorbringungen der Kollegen haben die vielbeschäftigten Filmkünstler übers Jahr in der Regel nicht – über gezielte Hinweise und das Interesse innerhalb der Freundschaftszirkel hinaus. Nun aber gibt es die Deutsche Filmakademie, im September 2003 nach dem Vorbild der amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences gegründet, und sie schafft Synergien. Dort Oscar, hier Lola: Es sind die im Filmgeschäft aktiven vielen Profis selber, nicht Jurys aus externen Fachleuten, die über die Jahresbestleistungen der Ihren befinden. Das erwärmt anders. Weil die 55. Deutsche Filmpreiszeremonie am Freitag in Berlin zugleich als konzeptionelle Premiere zu verstehen ist, liegt Enthusiasmus in der Luft. Und der steckt an.

Überhaupt setzen die rund 650 „Akademiker“ – so nennt der entspannt selbstironische Moderator Bully Herbig seine im neuen Organisationsgehäuse versammelten Kollegen – zumindest zum Start voll auf Harmonie. Was nebenbei vorzüglich in eine äußerlich verdüsterte Zeit passt, die von den Fiktionslieferanten ein wenig Aufbauarbeit und Trostproduktion verlangt. Es sind die herzerwärmenden Stoffe, die an diesem Abend triumphieren, allen voran Dani Levys kürzestweilige Komödie „Alles auf Zucker“.

Da hat Hauptdarsteller Henry Hübchen, ausgezeichnet für seinen furios assimilierten jüdischen Zocker, der sich zwecks Abgreifens des mütterlichen Erbes mit seinem orthodoxen Bruder aussöhnen muss, schon Recht – und das mag diesmal ganz besonders gelten: Bei solcher Kür, sagt er, werden wohl weniger die Schauspieler als die Figuren selber mit Lolas beschenkt. Also die tapfere, gute Widerstandskämpferin (Julia Jentsch in „Sophie Scholl“), die raubauzig verschlossene Ehefrau eines amoklaufenden Grünen-Funktionärs (Katja Riemann in „Agnes und seine Brüder“) oder auch der sarkastisch gewendete Altlinke, dem die eigene Jugend nicht gänzlich fremd geworden ist (Burghart Klaußner in „Die fetten Jahre sind vorbei“). Somit hat auch nicht der großartig aufspielende Hübchen den fraglos grandiosen Bruno Ganz im „Untergang“ besiegt – und doch tönt Hübchen in schöner Zusammenziehung von Identität und Rolle und mit üblich rampensäuischem Vergnügen: „Ich habe Hitler geschlagen, es ist toll! So ein kleiner, verkappter Kommunist jüdischer Herkunft hat Hitler geschlagen!“

Ach ja, „Der Untergang“. Der Untergang des in nur drei Schauspielerkategorien nominierten Films ist zunächst ein Symptom dafür, wie vergnügungssüchtig und zugleich öffentlichkeitswärts vorsichtig die Akademie-Mitglieder zur Premiere ihrer Institution ticken. Keine Nominierung für das Drehbuch des Akademie-Impresarios Bernd Eichinger, keine bereits fett geldwerte Nominierung für den Film selbst. Schließlich auch bleiben mit Bruno Ganz, Corinna Harfouch und Juliane Köhler alle drei nominierten Akteure auf der Strecke: Radikaler lässt sich das Nein zu diesem längst international erfolgreichen Films nicht inszenieren, an dem eine Jury – spricht man mit früheren Mitgliedern – schon „aus Proporzgründen“ kaum vorbeigekommen wäre. Doch auch die insgesamt mageren Ergebnisse für die beiden nominierten urdeutschen Vergangenheitsbewältigungsfilme – „Sophie Scholl“ holte zwei Lolas bei vier Nominierungen, der achtfach nominierte „Neunte Tag“ nur eine – zeigen noch etwas deutlich: Diese Filme mögen honorige, große Themen haben, aber das deutsche Kino soll, so es uns wirklich bewegt, packend vom Heute erzählen.

Und die nach wie vor umstrittene hohe Dotierung der Preise mit Staatsgeld? Akademie-Präsident Günter Rohrbach macht sich zu Beginn des Abends eigentümlich locker, wenn er die seit Gründung der Akademie beharrlich wiederholten Einwände verschiedener Medien, Subventionsempfänger dürften Subventionen nicht selber unter sich aufteilen, als „Vorurteil“, gar als „Häme“ bezeichnet. Kulturstaatsministerin Christina Weiss jedenfalls, vom Akademie-Publikum mit Dank für ihre strukturelle Aufbau-Mithilfe und gewiss auch mit herzlichem politischen Abschiedsbeifall begrüßt, wirkte auf der fühlbar zur Familienfeier mutierten Veranstaltung fast wie ein Fremdkörper. Ein bisschen wie die reiche ferne Tante aus Berlin, die nur deshalb wichtig wird, weil sie für die Siegerfilme einen Batzen Geld mitbringt. Eine Summe, die den jeweiligen Produzenten allerdings bei weitem nicht genügt, um damit ein neues Projekt komplett zu finanzieren.

Wenn wir uns etwas wünschen dürfen: Die Filmakademie, die die Premiere ihres nunmehr alljährlich größten Auftritts mit Schwung und viel Charme gefeiert hat, möge vor allem intern wachsen und gedeihen. Und noch abseits stehende Regisseure wie Christian Petzold oder Angela Schanelec integrieren – als selbstbewusste Institution, die nicht um Staatsknete buhlt, sondern durch Vernetzungsarbeit überzeugt und kreative Früchte trägt. Dann kann die Lola mit den französischen Césars und spanischen Goyas gleichziehen – und auf nationaler Ebene richtig Oscar spielen. Und: Bei ihrem Großauftritt des Jahres spielt Geld dann – ausnahmsweise – keine Rolle mehr.

Der RBB überträgt die Filmpreiszeneronie heute noch einmal um 22 Uhr.

Dani Levys rasante Komödie Alles auf Zucker ist mit sechs Lolas der große Gewinner des 55. Deutschen Filmpreises (Goldene Lola, Regie, Hauptdarsteller Henry Hübchen, Drehbuch, Kostüme, Musik).

Hans Weingartners

Die fetten Jahre sind vorbei holte eine Silberne Lola und einen Preis für Nebendarsteller Burghart Klaußner, Silber ging auch an

Sophie Scholl von Marc

Rothemund“, dazu ein Preis für Julia Jentsch als Titelheldin. Als

Dokumentarfilm wurde Touch the Sound ,

als bester Kinderfilm Lauras Stern ausgezeichnet. Die wichtigsten Dotierungen : Goldene Lola 500000 €. Silberne Lola 400000 €, Kinderfilm 250000 €, Dokumentarfilm 200000 €. Insgesamt ist der Deutsche Filmpreis mit 2,845 Millionen € dotiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false