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Kultur: Die Feder sticht

Was der PEN ist und tut: zum Beginn des Berliner Kongresses „Schreiben in friedloser Welt“

Von Gregor Dotzauer

Vor zwanzig Jahren, als in Hamburg der letzte Internationale PEN-Kongress auf deutschem Boden stattfand, um die „Zeitgeschichte im Spiegel internationaler Literatur“ zu beleuchten, teilte der Eiserne Vorhang die Welt noch in Ost und West. Vor wiederum 80 Jahren tagte der Internationale PEN zum letzten Mal in Berlin – zu einer Zeit, in der es politisch nicht weniger gärte. Wenn sich der PEN-Kongress – die Abkürzung steht für Poets, Playwrights, Essayists, Editors und Novelists – nun mit rund 450 Gästen aus achtzig Ländern zu seinem 72. Arbeitstreffen wieder in Berlin versammelt, um über „Schreiben in friedloser Welt“ zu diskutieren, ist der Themenschwerpunkt Afrika eine gute Wahl.

Doch „nicht einmal in Europa ist alles in Ordnung“, erklärte PEN-Präsident Jiri Grusa gestern bei der Pressekonferenz zum Auftakt mit Blick auf Russland. Dem tschechischen Schriftsteller zufolge sind weltweit derzeit rund 1000 Autoren ernsthaft von Sanktionen bedroht, 200 sitzen im Gefängnis mit Strafen von über 20 Jahren. Im vergangenen Jahr seien außerdem 37 Autoren und Journalisten getötet worden: Kritische Länder seien vor allem Iran, die Türkei und Kuba.

Das Politische hat nicht nur Tradition, es definiert die 1921 in London von Catherine Amy Dawson Scott und dem späteren Nobelpreisträger John Galsworthy zunächst als Club gegründete und binnen weniger Jahre zur internationalen Schriftstellervereinigung gewachsene Organisation von Grund auf. In ihrer heutigen Gestalt gehören ihr 134 Autorenverbände an – seit 1989 vermehrt aus Osteuropa.

Die Charta des PEN spricht sich aus für die Freiheit des Worts und für Literatur als ihren natürlichen Ausdruck, für „das Ideal einer einigen Welt“ und gegen jede Art von „Rassen-, Klassen- und Völkerhass“. Der deutsche PEN mit Sitz in Darmstadt, besonders engagiert beim „Writers in Exile“-Programm und dem Einsatz für die „Writers in Prison“, zählt zurzeit 679 Mitglieder, sein Präsident ist Johano Strasser, Generalsekretär Wilfried F. Schoeller, Ehrenpräsident Walter Jens.

Das deutsche Engagement hat seine Vorgeschichte nicht zuletzt in Vereinnahmungsversuchen durch die Nazis. Noch zwei Wochen nach der Bücherverbrennung im Mai 1933 meinten hitlertreue deutsche Delegierte auf dem Kongress in Dubrovnik, sich den Resolutionen für Meinungs- und Gesinnungsfreiheit anschließen zu können – bis der exilierte Dramatiker Ernst Toller eine flammende Rede hielt, die sich unmissverständlich gegen den Faschismus wandte.

Johano Strasser denkt sicher auch an diese Vergangenheit, wenn er zur Diskussion um Reisewarnungen und „No-Go-Areas“ in den neuen Ländern anmerkt: „In Deutschland sind wir besonders wachsam, weil wir wissen, wohin das führen kann.“ Aber, so Strasser, „wir werden nicht nur Probleme wälzen, sondern es soll auch ein Fest der Literatur werden.“

Dieses Fest ist in Teilen öffentlich und bietet etwa heute Abend um 20 Uhr in der Akademie der Künste am Hanseatenweg eine lange Nacht mit „Literatur der Welt“. Eingeladen sind Autoren wie der Schwede Per Olov Enquist, der Slowene Drago Jancar, der Russe Viktor Jerofejew, die Schottin A.L. Kennedy und der Ungar Péter Nádas. Tags darauf findet ab 15 Uhr im Hotel Hilton am Gendarmenmarkt ein Nachmittag zum Tagungsmotto statt, an dem unter anderem der Algerier Hamid Skif, der Rumäne Norman Manea und der Serbe Bora Cosic teilnehmen. Auch das Poesiefest der Literaturwerkstatt (27. Mai bis 4. Juni) und das Berliner Bücherfest auf dem Bebelplatz am kommenden Wochenende profitieren von den zahlreichen Gästen.

Wie viel daran ist Literatur? Und wie viel ist Politik? Die Frage verbietet sich insofern, als die Zielsetzung des PEN sich keineswegs mit der literarischen Ausrichtung seiner Mitglieder deckt. Unter ihnen nur brave Vertreter eines engagierten Schreibens zu vermuten, trifft nicht zu: Die Trennung von politischem Engagement und literarischer Arbeit dürfte sogar die Regel sein. So wenig die Mitgliederliste ein repräsentatives Bild der unterschiedlichen Tendenzen in der deutschen Literatur ergibt, so bunt ist sie trotz allem – von Johannes Mario Simmel bis hin zu Botho Strauß.

Dennoch scheint der amerikanische PEN, der seine Mitglieder wie überall auf der Welt Kopf für Kopf zuwählt, die beiden Sphären mit größerer Selbstverständlichkeit zu verbinden als die deutsche Organisation. Über die Jahre ist ihre Bedeutung im öffentlichen Meinungsgefüge zurückgegangen, und manches, was in Darmstadt kundgetan wird, sind pflichtschuldige Verlautbarungen zu aktuellen Themen: Dass die Bespitzelung von Journalisten durch den BND eine unlautere Angelegenheit ist, muss der PEN nicht auch noch sagen.

Solche Äußerungen zeigen, wie sehr der deutsche PEN nach Themen sucht, die ihm nicht von den internationalen Kriegsschauplätzen diktiert werden. Die Liberalität, für die er sich andernorts einsetzt, ist ihm hierzulande gewiss – selbst die deutsch-deutschen Spannungen sind entfallen. Noch auf dem letzten Internationalen PEN-Kongress in Deutschland trat Stephan Hermlin als DDR-Bürger auf und hielt eine Rede über „Meine Zeit“. Die Gefährdungen der Literatur durch ihre Marginalisierung – vor allem im Rundfunk, wie der PEN unlängst wieder betonte – sind den Darmstädtern zwar vertraut. Wo es unweit von Deutschland noch immer um Leben und Tod geht, rückt das Nachdenken darüber allzu schnell in den Hintergrund.

Infos unter www.pen-congress2006.de und www.pen-deutschland.de

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