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Kultur: Die flammende Schrift

WETTBEWERB Allen Ginsberg wird in „Howl“ als Beat-Dichter gefeiert

Dieser Film ist ein Spiel. Ohne so richtig ein Spielfilm zu sein. Alles ist Fiktion, aber nichts istt erfunden. Bis auf den Versuch, lauter wunderbar irrlichterndeWorte und Verse zu verfilmen. Außerdem ist es auch ein typisch amerikanischer Gerichtsfilm, mit Staatsanwalt, Verteidiger, Zeugen und Richter. Aber angeklagt ist: ein Gedicht.

Rob Epstein und Jeffrey Friedmans „Howl“ ist selber die hymnische Verteidigung des Gedichts. „Howl“ (deutsch „Das Geheul“) hieß das berühmteste Poem des amerikanischen Beatnik-, Drogen-, Protest- und Geniedichters Allen Ginsberg (1926-1997). Als den jungen, zwar sprachwilden, aber persönlich scheuen und dennoch hymnisch die Homosexualität und den Rausch besingenden Allen in New York noch keiner zu drucken wagte, veröffentlichte Lawrence Ferlinghetti in seinem legendären, noch heute bestehenden Verlag City Light Books in San Francisco 1956 „Howl“.

„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt, hysterisch nackt / wie sie sich im Morgengrauen durch die Negerstraßen schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze“, so beginnt diese Rhapsodie. Über Nacht machte sie den kaum 30-jährigen Ginsberg berühmt – und ein Staatsanwalt in San Francisco wollte das tolle „Geheul“ wegen Obszönität aus den Buchläden verbannen. Daher der Prozess. „Howl“ als Film aber ist ein Mix aus Biopic-Nahaufnahme und nachempfundener Dokumentation jener Zeit des Aufbruchs. Jener Beat-Generation eines Jack Kerouac, dessen „On the Road“ 1957 erschien, eines William S. Burroughs oder auch Lawrence Ferlinghetti (nicht nur Verleger, sondern selber einer der bedeutendsten Lyriker Amerikas). Ginsberg wurde nach dem Tod von Kerouac (und früher schon von James Dean) zur Galionsfigur dieses anderen, neuen Amerika, das den Ballast des Weltkriegs und des frühen Kalten Krieges mitsamt den Schatten der McCarthy-Ära wegfegte und die Vorhut war für die Protest- und Flower-Power-Bewegung der sechziger Jahre. Vom Ton und dem freien Pathos eines Allan Ginsberg haben sie dann alle gelernt, der junge Bob Dylan oder Lou Reed und der ganze Velvet Underground.

Mit flimmernden, körnig flackernden Schwarzweißbildern, unterlegt von Jazzrhythmen versucht „Howl“ diese Vorzeit-Stimmung wieder wachzurufen, diesen Früh-Pop. Immer wieder sieht und hört man den sanft-enthusiastischen James Franco (der im US-Fernsehen schon James Dean verkörpert hat) in einem rauchigen Studentenclub oder einer jazzkellerähnlichen Szene-Bar „Howl“ rezitieren, vor jungen Leuten, die noch weniger bekifft wirken als vom Sound eines neuen, entgrenzenden Sexistentialismus geistig angetörnt. In Farbe dagegengeschnitten wird James Francos dann bärtiger, etwas älter gewordener Ginsberg: bei einem nachgestellten Interview. Der Fragesteller ist jedoch kein wirklicher Gesprächspartner, er gerät nicht mal als Person ins Bild. Nur das Tonband läuft, und statt zu rezitieren, doziert Ginsburg nun: übers assoziative Schreiben, über den Zusammenhang zwischen Leben, Erfahrung, Gefühl, Rausch und frei strömender poetischer Rede.

Es ist ein Spielfilm ohne Interaktion, ohne Drama – bis auf die eher schematischen Gerichtsszenen, bei denen Ginsberg nicht selber auftritt und Ferlinghettis Rolle auf die des stummer Beisitzers seines Anwalts verkürzt und verschenkt wird. Hier bleibt allein die hübsche Entgegnung eines „Howl“-Verteidigers, dass man ein Gedicht nicht in Prosa erklären könne. Sonst wäre es ja kein Gedicht.

Wie aber verfilmt man das Dichten? Natürlich sitzt der Autor an der Schreibmaschine, und man sieht die Typen buchstabengetreu aufs Papier tackern. Doch plötzlich entzünden sich die Worte, wird die Sprache zur Flammenschrift und die poetische Vision zum Animationsfilm mit molochartigen nächtlichen Häuserschluchten, lodernden Maschinen und entbrannten Sexgliederpaaren, mit halluzinierten orgiastischen Menschenpuppen. Sie sind, neben dem Solisten James Franco, das Lebendigste in diesem nur viele wunderbare Worte bewegenden Film.

Heute 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (International), 21. 2., 21 Uhr (Friedrichstadtpalast)

Ginsbergs halluzinative

Verse verwandeln sich

in orgiastische Animationen

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