zum Hauptinhalt
Zwei Mitglieder von Coloradu Velcus Familie drehen in Velcus und Scheffners Forums-Film "And-Ek Ghes" ein Bollywood-Musikvideo - mitten in Berlin. Hinreißend! Berlin

© Khaled Abdulwahed /Berinale

Die Forums-Filme der 66. Berlinale: Häuser ohne Türen, Reise ohne Rückkehr

Die Filme in der Forums-Reihe der 66. Berlinale erkunden Flüchtlingsbilder, sie erzählen auch, wie Menschen ihre Heimat verlieren. Und Gérard Depardieu verirrt sich im Wald.

Manchmal steckt die ganze Geschichte in einem einzigen Bild. Der Berliner Dokumentarist und Videokünstler Philip Scheffner ("Revision") hat in Havarie das kurze Handy-Video, das ein Kreuzfahrt-Passagier von einem Flüchtlings-Schlauchboot gedreht hat, auf Spielfilmlänge verlangsamt. Der Blick des reichen Europa auf die hilfsbedürftigen Ankömmlinge wird zur Chiffre der Gegenwart – und zum Inbild des Forumsprogramms der 66. Berlinale. Gleich sieben der 44 Beiträge nähern sich Geflüchteten und Migranten oder begleiten sie mit der Kamera.

Menschen, die ihre Heimat verlieren, gibt es überall auf der Welt. Eritreer in Israel (Between Fences von Avi Mograbi), die bedrohte De’ang-Minderheit an der chinesisch-burmesischen Grenze (Ta’ang von Wang Bing), Arbeitsmigrantinnen aus Südostasien in bürgerlichen Haushalten im Libanon (A Maid for Each), Malier in der spanischen Exklave Melilla (Les Sauteurs), Roma in Kanada (Tales of Two Who Dreamt) oder in Berlin: In And-Ek Ghes, Scheffners zweitem Forums-Beitrag, übernimmt der Familienvater Coloradu Velcu die Ko-Regie, um authentisch, vor allem aber verspielt, poetisch und selbstironisch die Tücken des Alltags in Deutschland zu schildern und Zukunftsfantasien zu entwerfen. Höhepunkt: Zwei Jugendliche aus der Velcu-Großfamilie drehen ein Bollywood-Musikvideo zu einer Komposition von Regisseur Velcu, singend und tanzend, mitten in Berlin. Hinreißend!

Etliche Beiträge fragen nach der Redlichkeit und Nachvollziehbarkeit bei der Darstellung von Flüchtlingserfahrungen. Andere Filme führen vor Augen, wovor die Menschen eigentlich fliehen. Der syrisch-armenische Regisseur Avo Kaprealian filmte in Aleppo den Krieg aus seinem eigenen Fenster, jetzt lebt er im Libanon (Houses without Doors). In den peruanischen Goldminen von Eldorado XXI und beim Jade-Bergbau in der burmesischen City of Jade ist die Erde unbewohnbar wie der Mond. Die Arbeiter rackern sich ab, unter lebensgefährlichen Bedingungen. Man wird kleinlaut, wenn man daran denkt, wie leichthin Arbeitsmigranten hierzulande zu Luxus-Refugees erklärt werden.

Einen Schwerpunkt bildet der arabische Raum, mit einem Streifzug durch das gebeutelte Kairo (In the Last Days of the City) oder auch einem Einblick in den saudi-arabischen Alltag: In Mahmoud Sabbaghs Film Barakah Meets Barakah wird die uralte Boy-meets-Girl-Geschichte eine schiere Unmöglichkeit: Ein Mann und eine Frau können sich dort kaum zum Rendezvous treffen, ohne Verbotenes zu tun.

Osteuropa ist mit Vlažnost aus Serbien vertreten, in dem die Frau eines reichen Geschäftsmanns spurlos verschwindet. Und unter anderem mit Bence Fliegauf aus Ungarn. 2012 gewann er den sibernen Bären für sein Roma-Drama „Just the Wind“, jetzt kommt er mit Lily Lane, einer suggestiv-intimen Mutter-Sohn-Fantasie über Kinderängste und darüber, wie wir mitten im Leben vom Tod umfangen sind.

Alles so ernst hier, wenn nicht gar rundweg apokalyptisch wie Nikolaus Geyrhalters Homo Sapiens, die Erkundung einer renaturierten Landschaft ganz ohne Menschen? Komödien gibt’s traditionell selten im Forum. Guillaume Nicloux verspricht skurrile Minuten: In The Wandering verirrt sich Gérard Depardieu im Wald. Gerade erst schickte der Regisseur den Schauspieler mit Isabelle Huppert ins „Valley of Love“, auf dem Festival ist Depardieu ohnehin dicke da und gibt sich im Berlinale-Palast in „Saint Amour“ die Ehre (s.o.).

Aus Deutschland punkten vor allem die Dokumentarfilmer. Volker Koepp lädt mit Landstück erneut in die Uckermark ein, Dominik Graf und Johannes F. Sievert erkunden in Verfluchte Liebe deutscher Film das hiesige Genre-Kino, und Ulrike Ottinger wartet mit einem Rekord auf: Mit ihrem Marathon-Film Chamissos Schatten – visuelles Logbuch einer Weltreise – eröffnet das Forum am 12.2. um 10 Uhr im Haus der Berliner Festspiele: Es sind über zwölf Stunden. Außerdem gibt’s Punk aus Japan im Special: Hachimiri Madness mit Acht-Millimeter-Filmen aus den achtziger Jahren.

Das Forum Expanded gibt sich fantastisch: 32 Filme, 15 Installationen, das Motto: Traversing the Phantasm. ScienceFiction, Kriegsszenarien, die Filmgeschichte selber und die Welt der Museen finden sich in Arbeiten von Heinz Emigholz, Omer Fast, Ahmad Ghossein, Anja Kirschner, Volker Sattel und vielen mehr. Die Ausstellung in der Akademie der Künste startet vorab, am 10. Februar.

Auch am Publikumstag, dem 21. Februar, ist die Akademie der Künste am Hanseatenweg angesagt. Dort wird die Leserjury des Tagesspiegels um 19.30 Uhr ihren Sieger-Film präsentieren, gemeinsam mit Forum-Chef Christoph Terhechte. Ausgewählt haben unsere neun Geschworenen ihren Favoriten aus den 34 Weltpremieren des Forums-Programms. Tickets für die Vorstellung gibt’s ab 8.2.

Zur Startseite