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Kultur: Die französische Journalistin Pascale Hugues ist heimisch geworden in einem spießigen Land

Pascale Hugues sagt: Die Deutschen lieben es, kritisiert zu werden, für die ist es ein echtes Glück, wenn man sie beschimpft. Sie lassen sich gern sagen, sie könnten das Leben nicht genießen; und überhaupt, dieses spießige Land.

Pascale Hugues sagt: Die Deutschen lieben es, kritisiert zu werden, für die ist es ein echtes Glück, wenn man sie beschimpft. Sie lassen sich gern sagen, sie könnten das Leben nicht genießen; und überhaupt, dieses spießige Land. Masochisten sind sie: nie beleidigt, "außer man entgegnet ihnen, sie seien sehr deutsch". Das ist natürlich eine Kritik, und wenn wir unsere masochistische Veranlagung überwinden wollten, müsste dies ein Verriss werden.

Es ist eine vertrackte Sache, mit dem Buch wie mit den Deutschen und den Franzosen überhaupt. Noch vertrackter wird sie, weil die französische Autorin Pascale Hugues, die seit 1989 in Deutschland lebt, manchmal selbst schon ganz deutsch ist. Dann schimpft sie, sie könne das Land nicht mehr ertragen mit seinem Frieden, seiner Harmonie, seinem Reichtum und seiner Pünktlichkeit, mit all diesen Thermoskannen mit Filterkaffee, die in den Büros stehen.

Die Reportage-Sammlung "Deutsches Glück" ist wie ein langer Diskussionsabend zwischen Deutschen und Franzosen. Wer das einmal erlebt hat, wird vieles wieder erkennen: die Debatten über die D-Mark und die auf die Spitze getriebene Rationalität der Deutschen; über die Anti-Atom-Bewegung, der die meisten Franzosen genauso verständnislos gegenüberstehen wie im Grunde allem, was mit Umweltschutz zu tun hat; über die Aufarbeitung der Nazizeit, die unseren Nachbarn oft so zwanghaft erscheint.

Zu all diesen Themen hat Pascale Hugues eine Geschichte parat. Zum Beispiel das Porträt der Fürther Sparkasse mit dem giftgrün-auberginenfarben-karierten Teppichboden und dem auf dem Teppichboden markierten Diskretionsabstand. Oder die Geschichte der Castor-Feinde aus dem Wendland, die für die Französin selbstverständlich das romantische Weltbild des bewaldeten Deutschland verkörpern, das kein Verständnis hat für ein ganz auf den Nutzen orientiertes Agrarland wie Frankreich. Oder die Reportage über eine Berliner Mietergemeinschaft, die im Hausflur nach langer Debatte eine Gedenkplakette für die deportierten Juden anbringt, die dort einmal gewohnt haben.

Etwas ausschweifend sind diese Geschichten, aber man verliert sich gern darin. Vielleicht verstehen uns manche Franzosen besser, wenn sie diese Reportagen gelesen haben. Vielleicht verstehen wir uns selbst ein bisschen besser, wenn wir sie jetzt in der deutschen Übersetzung lesen. Den für den französischen Geschmack viel zu friedfertigen Betriebsrat aus dem Badischen zum Beispiel, der, wie wir lernen, gar nicht anders kann, denn er spricht diese "weiche, zischende Sprache ohne aufdringliche Laute, in der Groll und Zorn phonetisch nur schwer auszudrücken sind".

Manchmal könnte man sich auch schön streiten mit der Autorin: Weil sie, wie viele Franzosen, offensichtlich irgendwann einmal gelernt hat, dass wir die Bundesbank lieben und sie deshalb zärtlich "Buba" nennen. Oder weil sie sich darüber mokiert, der Doktortitel sei der zweite Vorname der Deutschen, wo doch keiner mehr an akademische Weihen glaubt als die Franzosen. Daher auch das Erstaunen, dass einer wie Ludwig Erhard uns ins Wirtschaftswunder führen durfte, kein distinguierter Intellektueller, "sondern ein pragmatischer Professor der Volkswirtschaft". Ein bisschen sind wir Deutschen ja alle mehr pragmatisch als intellektuell, und es tut weh, sich das von unseren gebildeten Nachbarn sagen zu lassen.

Es ist eine ewig dauernde Hassliebe zwischen uns und ihnen. Die Franzosen wissen: Irgendwie sind die Deutschen mit ihrem Pragmatismus immer besser weggekommen. Nach jedem Krieg war das so, auch nach dem letzten, dem fürchterlichsten. Die Franzosen waren die Sieger, und die Deutschen sind locker an ihnen vorbeigezogen. Viel länger als die deutschen Städte hatten die französischen Dörfer unter den Kriegsfolgen zu leiden, der Modernisierungsschub kam in Frankreich mit Verspätung. Das löst Bewunderung für die Deutschen aus, und wie die Franzosen immer das Loblied auf das deutsche Ausbildungssystem und das harmonische Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern westlich des Rheins, das hat auch schon was von Masochismus.

Im besten Fall finden die Franzosen die Deutschen langweilig, im schlimmsten beunruhigend, schreibt Pascale Hugues. Da haben wir Glück gehabt. Sie findet uns, trotz allem, offensichtlich sympathisch. Der deutsch-französische Abend macht Spaß. Weil einer am Tisch sitzt, der gut erzählen kann. Und deshalb ist es jetzt doch kein Verriss geworden.Pascale Hugues: Deutsches Glück. DVA, Stuttgart 1999. 238 Seiten, 39,80 DM.

Tanja Stelzer

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