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Kultur: Die Freaks und die Freiheit

Uraufführung: „Der Reiter mit dem Wind im Haar“ in der Komischen Oper

Das Gute zuerst: Mit der Uraufführung der Kinderoper „Der Reiter mit dem Wind im Haar“ haben die Komische Oper und das koproduzierende carrousel-Theater viel richtig gemacht. So die Wahl des Spielorts: Kinderopern gehören so oft wie möglich auf die Große Bühne. Zwar macht die Not der Foyers dramaturgisch erfinderisch und fördert die Nähe zu den Akteuren. Das große Erlebnis des vollen Orchesterklangs, wie ihn Jin Wang am Sonnabend in das stuckverzierte Rund zaubert, und die beeindruckenden Effekte der Theatermaschinerie können Aufführungen am Katzentisch jedoch nicht ersetzen. Richtig war es ebenfalls, dem Kinderchor der Komischen Oper quantitativ eine gewichtige Rolle zuzuweisen. Wie schon in Brittens Kinderoper „Der Kleine Schornsteinfeger“ erwiesen sich die von Christoph Rosiny und Jane Richter unterwiesenen Mädchen und Jungen als musikalisches fittes, präsentes und ansteckend spielfreudiges Ensemble.

Kein Fehler war es, Frank Schwemmer mit der Komposition zu beauftragen. Zwar ist sein Stil durchaus eklektizistisch: Schon in den ersten Takten spannte er den Bogen von dumpfem Trommeldröhnen über wagneristische Sehnsuchstchromatik bis hin zum Erzählerton der Zwanziger Jahre. Doch die Vielfalt seiner Klangfantasien ist unterhaltsam, sein dramatischer Instinkt sicher.

Das Libretto von Manuel Schöbel erzählt die Geschichte von einem vagabundierenden Reiter, vom Bariton Hans Gröning mit ruhiger Ausstrahlung dargestellt. Im Haar des Reiters haben sich junge Aussteiger, die so genannten Freaks, eingenistet. Katka, ein junges Mädchen aus einer als eng, stinkend und zubetoniert abqualifizierten Stadt, schließt sich den Freaks an und verliebt sich in den Reiter. Der Konflikt zwischen individueller Freiheit und dem Wunsch nach einem verbindlichen Zuhause, den sie damit heraufbeschwört, spiegelt sich auf der Ebene der Kinder in der Diskussion um den Bau einer eigenen Stadt wieder. Ihre Utopie: eine fliegende Stadt aus Papier. Doch statt den Streit über den Bau dieses Utopia aus den Charakteren der Freaks zu entwickeln, erfindet Schöbel eine komplizierte Rahmenhandlung mit Erwachsenen.

Das aber ist jammerschade. Denn natürlich stürzt sich der Komponist auf die stimmlich durchweg überzeugenden „großen“ Darsteller – um für sie wirkungsvolle große Duette und Arien zu schreiben. Doch für die Zielgruppe (Kinder und Jugendliche ab neun Jahren) dürften die wirklich interessanten Figuren unter den jungen Freaks zu finden sein. Meist als leichtgläubige Marionetten der Erwachsenen agierend, fallen für sie leider nur Charakterskizzen ab. Dabei wäre es lohnend gewesen, wenn Schwemmer und Schöbel ihre Ideen zu den Freaks nur weiter ausgeführt hätten. Auffällig dankbar nahm das Publikum die coole Pantomime des leider verniedlichend zum „Tintenkleckser“ stilisierten Graffiti-Sprayers (Ünsal Öksüz) entgegen und jubelte über die kurze Steppeinlage der kessen Dancing Marai (Maria Kempken). Zum Schluss fliegen Katka und ihr Reiter auf einem peinlich fetten Pferd in den Bühnenhimmel. Für die Kinder fehlt die große Utopie. Sie bleiben am Boden zurück, wo sie hastig Apfelbäumchen pflanzen.

Aufführungen bis Juni in der Komischen Oper sowie im carrousel-Theater.

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