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Kultur: Die Fülle der Erfinder

Neue Theaterbücher: Peter Zadek, Ivan Nagel, Thomas Oberender, Anna Viebrock und Jossi Wieler

Das kleinste unter den neuen Theaterbüchern, die vor dem Beginn der nächsten Spielzeit Revue passieren, gilt dem größten oder zumindest furiosesten Erneuerer der deutschen Nachkriegsszene. Im Mai wäre Peter Zadek 85 Jahre alt geworden, und nun hat ihm Klaus Völker eine in jede Jackentasche passende Kurz- und Künstlerbiografie gewidmet: im Berliner Verlag Hentrich & Hentrich in dessen Reihe „Jüdische Miniaturen“ – die Zadek in mancherlei Hinsicht gesprengt hätte.

Das Interessante ist freilich, wie es Völkers Brevier „Peter Zadek. Mit dem ,Fertigen‘ gab er sich nicht zufrieden“ in knappen Beschreibungen gelingt, in dem berlinisch-britisch-jüdisch-weltlichen Migranten der Kulturen und Formen einen auch sehr deutschen Romantiker des Realismus aufleben zu lassen. Zadeks Theater wollte unterhalten, nie belehren. Es sollte den Schrecken des Todes bannen und die Liebe für den Moment verewigen, indem man beide voller Widersprüche und schonungsloser Leidenschaft ins Spiel verwandelte. Nicht ins „reine“ Spiel, sondern mit allen Spuren des Lebens.

Wer auf der Suche nach dem Amalgam aus Kunst, Geschichte und Leben, aus wachem Realitätssinn und ästhetischer Transzendenz tiefer eindringen will als es das Rauschen des tagesschnellen Kulturbetriebs ermöglicht, der kann dazu viel Anregendes in Ivan Nagels „Schriften zum Theater“ sowie seinen „Schriften zum Drama“ nachlesen. Der Adorno- und Zadek-Schüler Nagel (wohl der einzige, der diese Dualität verkörpert, vergeistigt) ist ja kürzlich 80 geworden und gebührend gefeiert worden. Aber an diese Gelegenheit ist hier nochmals zu erinnern: Im Rahmen von Nagels neuerdings im Suhrkamp Verlag gesammelten Studien haben auch jüngere Leser die Chance, den scharfsinnigsten Kopf der theatralen, intellektuellen Szene dicht gebunden und gebündelt kennenzulernen.

Zwar ist das Editionsprinzip der beiden Bände mit ihrer Unterscheidung zwischen „Drama“ und „Theater“ nicht ganz einleuchtend. So geht es im „Drama“-Teil durchaus auch um Aufführungen, also „Theater“. In drei Texten beleuchtet Nagel dort beispielsweise in wechselnden zeitlichen Perspektiven Peter Steins revolutionäre „Torquato Tasso“-Aufführung 1969 in Bremen; aber Nagels gleichfalls den „Tasso“ mitverhandelnde Laudatio bei der Verleihung des Frankfurter Goethe-Preises an Stein im Jahr 1988 findet sich dann im „Theater“-Band. Umgekehrt steht eine Preisrede auf Pina Bausch in den „Schriften zum Drama“.

Aber das sind Formalien, was bleibt ist der luzide Blick: auf Shakespeare, Racine, Marivaux, Kleist, Büchner, Wedekind oder auch Mozart. Und bei Nagel sind die die Erinnerungen an Fritz Kortner, an Peter Zadek, Stein, Patrice Chéreau, Wilfried Minks, Frank Castorf oder Christoph Marthaler niemals nur historische Reminiszenzen. Sondern lebendige Vergegenwärtigung, vitales Erbe, Herz- und Kopfstärkung für die Zukunft der dramatischen Kunst in vermeintlich postdramatischen Zeiten. Gerade heute sind auch Nagels kulturpolitische Interventionen wieder lesenswert: sein Gutachten für den Berliner Senat zur Rettung der Berliner Theater nach der Wiedervereinigung oder der essayistische Appell zur „Rettung des Berliner Theatertreffens“ 1995.

Sehr klug, manchmal schier altmodisch bedächtig, geduldig und zugleich zeitgenössisch cool, clever, charmant geht es (auch) zu bei einem kleinen großen Paperback aus dem Salzburger Verlag Müry Salzmann. Rechtzeitig zum örtlichen Festspielbeginn, aber mit kräftig geweiteter Perspektive trägt das Büchlein den koketten Titel „Das schöne Fräulein Unbekannt“. Es enthält „Gespräche über Theater, Kunst und Lebenszeit“, die der noch amtierende Schauspielchef der Salzburger Festspiele und künftige Berliner-Festspiele-Intendant Thomas Oberender mit der Wiener Kulturjournalistin und Filmemacherin Andrea Schurian über knapp zwei Jahre zwischen 2009 und 2011 geführt hat.

Der 1966 in Jena geborene, in Berlin über Botho Strauß promovierte frühere Dramaturg und Dramatiker Thomas Oberender ist das seltene Exemplar eines ostdeutschen Theaterintellektuellen, der nie zu den Adepten einer materialistisch-surrealen Nach-Brecht- und Nach-Heiner-Müller-Schule gehört hat, dem auch die psychologisch empfindlichen Poesien und mythologisch befeuerten Theaterideenwelten eines Handke oder Strauß nicht fremd waren. Oberender verbindet zudem ästhetischen Feinsinn durchaus mit Machtbewusstsein, das Mögliche mit dem Machbaren und ist grenzenlos neugierig. Außer dem Wetter, das man nicht ändern kann, interessiere ihn alles, sagt er seiner aufmerksam und mit ähnlich weitgreifender Neugier nachforschenden Interviewerin. Daraus wird nun kein Wetterreport, aber eine Art kultureller Klimabericht.

Gleich, ob Oberender über Museen, Religion, Kapitalismus, Walter Benjamin, McLuhan, Warhol oder Gerhard Richters Malerei, über den Prenzlauer Berg, eine Modenschau bei Yamamoto in Paris oder seinen früheren Intendanten Matthias Hartmann spricht, gleich ob es sich um Hochkunst oder das Triviale und Banale dreht: Hier zeigt sich nie Geschwätz, da ist mindestens in der Redaktion des Buchs ein bisweilen fast literarisch zu lesender, in jedem Fall so geistvoller wie unterhaltsamer Dialog entstanden. Mit vielen elegant formulierten, manchmal schon bonmotreifen Einsichten, etwa diese, wie von Kleist inspirierte über die Schönheit in der Kunst und im Leben: „Schönheit wird nur interessant, wenn sie eine Form von Selbstvergessenheit besitzt und nicht beschönigend wirkt.“

Am heutigen Mittwoch hat die Schweizer Bühnenbildnerin Anna Viebrock ihren 60. Geburtstag, und am Samstag feiert ihr Landsmann, der Regisseur und künftige Stuttgarter Opernintendant Jossi Wieler, das nämliche Jubiläum. Den beiden haben der Berliner Verlag von „Theater der Zeit“ und der Alexander Verlag, gleichfalls Berlin, zwei schöne Präsente gemacht. Anna Viebrocks das Alltägliche, Schrottige mit dem kunstreich Gebauten, dramaturgisch Gedachten verbindende Bühnenräume bilden ja gleichsam das Gesicht der Spektakel vor allem von Christoph Marthaler. Legendär Viebrocks holzgetäfelt monströse Wartehalle mit der von Ziffer zu Ziffer aus der Zeit gefallenen Wanduhr bei Marthalers DDR-Requiem „Murx den Europäer!“ an der Berliner Volksbühne. Oder zahlreiche Inszenierungen Jossi Wielers, etwa der Stücke von Tankred Dorst oder Elfriede Jelinek, von deren „Wolken.Heim“ in Hamburg 1993 bis zur Stuttgarter „Ulrike Maria Stuart“ 2007. In dem Prachtband „Anna Viebrock. Das Vorgefundene erfinden“ beschreibt der Schweizer Autor Jürg Laederach sehr schön verdichtet Viebrocks Methode, einen vorhandenen Lebens-Raum raffiniert diskret in einen Kunstraum (als Lebensraum der Schauspieler) zu verwandeln: „Der Bühnenraum muss ausgekleidet werden, und am besten nimmt man dazu Bühnenräume.“ Diese müssen aber auch eine Freifläche, ein Freiraum für das Theater sein, was Jürg Laederach als Anna Viebrocks „Füllung mit Leeregarantie“ bezeichnet.

Etwas anders meint Elfriede Jelinek in ihrer Hommage für „Jossi Wieler – Theater“ vielleicht das Gleiche. Entzückt hat sie, als Wieler einmal Paul Claudels „Mittagswende“ in München inszeniert: „Bei Claudel spricht ja das Schweigen, bei mir schweigt das Sprechen nie.“ Und in den den Zwischenraum dringt: das Theater.

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