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Kultur: Die fünfte Dimension

Ein Ereignis: Kasimir Malewitsch in der Deutschen Guggenheim Berlin

Das deutsch-russische Kulturjahr 2003 (samt dessen Fortsetzung in Russland 2004) beginnt offiziell am 9. Februar, wenn die Präsidenten Putin und Rau es in Berlin feierlich einleiten. Doch schon jetzt ist im Bereich der bildenden Kunst ein erster und bis zur Berlin-Moskau-Ausstellung schwerlich zu überbietender Höhepunkt in Berlin zu besichtigen: die Ausstellung „Kasimir Malewitsch: Suprematismus“ im Deutschen Guggenheim Unter den Linden.

Dort, Unter den Linden, waren vor 80 Jahren schon einmal Werke Malewitschs zu sehen: innerhalb der legendären „Ersten Russischen Kunstausstellung“ der Galerie Van Diemen im Herbst 1922, die die ganze Fülle der frühsowjetischen Avantgardekunst nach dem Ende des Bürgerkriegs in Sowjetrussland erstmals im Westen bekannt machte. Die Wirkung war nachhaltig; sie hält im Grunde bis heute an. Denn bis heute ist der Reichtum der Kunst dieser aufwühlenden Jahre nicht ausgeschöpft.

Auch im Falle Kasimir Malewitschs (1878 – 1935) kommen noch immer unbekannte Arbeiten zu Tage, sei es aus Museen in der (weiten) russischen Provinz, sei es aus Nachlässen, die jahrzehntelang unter dem Diktat des Sozialistischen Realismus versteckt gehalten worden waren. Beides trifft für die Ausstellung in der Berliner Guggenheim-Filiale zu, die von hier aus nach New York und Houston weiterwandern wird. An Houstons de Menil Collection arbeitet als Kurator Matthew Drutt, der die Ausstellung zusammengestellt und mit einem Katalog versehen hat, von dem Guggenheim-Chef Thomas Krens bei der gestrigen Vorbesichtigung wohl zu Recht meinte, er sei „das definitive Werk für die kommenden Jahre“.

Denn noch nie hat sich eine der – in den vergangenen 25 Jahren denn doch recht zahlreichen – Ausstellungen zu Malewitschs Oeuvre sich mit dessen suprematistischem Höhepunkt allein beschäftigt. Der erst 1993 durch die Auswanderung des Sammlers in den Westen gelangte Bestand des Moskauer Künstlerfreundes und Kunsthistorikers Nikolaj Chardschijew mit über 1350 Gemälden, Zeichnungen und Dokumenten der russischen Avantgarde gab denn auch den Anstoß zur vorliegenden Ausstellung. Drutt beleuchtet in seinem luziden Katalogbeitrag die unschönen Begleitumstände der über zwanzig Jahre hin erstrebten Emigration Chardschijews: Werke Malewitschs kamen abhanden und landeten unter ungeklärten Umständen in öffentlichen Sammlungen. Nicht nur bei Malewitsch wird sich noch eine Reihe von Museen mit der Provenienz vermeintlich einwandfrei erworbener Arbeiten beschäftigen müssen.

Ein Raum der höheren Sphäre

Man darf davon ausgehen, dass die Berliner Ausstellung von solchen Problemfällen frei ist, vor allem auch von Fälschungen, wie sie einige Jahre lang den Kunstmarkt verunsichert haben. Was Guggenheim zeigt, ist auch für den flüchtigen Blick von eindeutiger Handschrift – und von so erlesener Qualität, dass die Ausstellung als bleibendes Ereignis verbucht werden darf. Auch das hat, nabenbei, Tradition: Denn der Ruhm Malewitschs im Westen begann mit seiner Einzelausstellung in Berlin 1927.

Das beruht auch auf der Präsentation. Die vergleichsweise kleine Halle innerhalb des Komplexes der Deutschen Bank – die ihr millionenschweres Engagement für die Guggenheim-Filiale unlängst um fünf Jahre verlängert hat – ist symmetrisch durch quer stehende Wände unterteilt, die Fenster sind komplett verdeckt. In diesem Kunstraum kommt Malewitschs Suprematismus, jene Vision einer anderen, von den Zwängen des irdischen Daseins befreiten Sphäre zur vollen Geltung. In weitgehend chronologischer Abfolge wird die Entwicklung der ungegenständlichen Kunst ausgehend vom Meilenstein der gattungsübergreifenden Zusammenarbeit bei der Oper „Sieg über die Sonne“ von 1913 über die Formulierung der suprematistischen Theoreme bis zu den späten Objekten der „Architektone“ und sogar der Entwürfe für Teeservices abgeschritten. Gemälde, 31 an der Zahl, und die 37 Zeichnungen halten sich in etwa die Waage; hinzu kommen neun Objekte sowie ein Ensemble von Nachbauten verloren gegangener Architektur-Modelle.

Empfindlich sind zumal die Zeichnungen, die ebenso unscheinbar wie exquisit daherkommen. Malewitsch hat seine suprematistischen Kompositionen stets auf kleinformatigem Karopapier gezeichnet, geradezu pedantisch exakt, und mit schriftlichen Angaben versehen. Was nun „Suprematismus“ genau ist, jedenfalls über den Formenreichtum der ungegenständlichen, von jeglichem Bezug zur sichtbaren Welt befreiten Kunst hinaus, ist nicht einfach zu bestimmen.

Schon Anatolij Lunatscharskij, der erste (und hoch gebildete) Volksbildungskommissar im jungen Sowjetrussland, sprach von den „schwülstigen und vagen theoretischen Schriften“ Malewitschs. Den Begriff „Suprematismus“ leitetet der Künstler aus dem lateinischen supremus her, und als „Höchstes“ hat er die von ihm erstrebte Kunst verstanden, als „Neues Evangelium“. Suprematismus ist für ihn der künstlerische Ausdruck der Situation des Menschen in einem von Gott zurückgelassenen, „unbekannten System“. Es verwundert nicht, dass Malewitsch mit dieser stark auf die russiche Orthodoxie und ihre Kunst zurückgehenden Haltung zunehmend Schwierigkeiten mit den Bolschewiki bekam – bis zu einer mehrmonatigen Inhaftierung 1930, deren begleitende Verhöre durch die OGPU, die politische Polizei, im Katalog erstmals dokumentiert werden.

Gegen die westliche Tradition

„Nie habe ich die Ansichten der bürgerlichen Welt über die Kunst geteilt“, erklärt Malewitsch seinen Verfolgern – und er hat Recht. Vor dem Ersten Weltkrieg liebäugelt Malewitsch noch mit der westlichen Moderne, mit Kubismus und Collagen. Doch dann kommt der Umschwung. Die Kompositionen aus Quadraten, Rechtecken und Kreisen, aus frei über weißem (in der russischen Orthodoxie: „heiligen“ oder „ewigen“) Grund schwebenden farbigen Balken und Rechtecken brechen radikal mit jeglicher Tradition. Sie eröffnen einen neuen Kosmos; Malewitsch spricht gern von einer „fünften Dimension“. Wie immer man die Traktate Malewitschs beurteilen mag, die ohne den historisch-philosophischen Kontext der russischen Kunstdiskussion nach 1900 schwer verständlich sind: Was in der Guggenheim-Ausstellung zu sehen ist, sind die wunderbar ausgewogenen, spannungsvollen Kompositionen eines Malers, der Formen und Farbe in nie zuvor gekannte Beziehungen zu setzen vermag. Auch wenn die bekannten Bestände des Amsterdamer Stedelijk Museums das Rückgrat der Ausstellung bilden, gibt es beglückende Entdeckungen aus den Museen etwa von Krasnodar oder Jekaterinenburg zu machen – oder auch aus Japan, von wo das überraschende Bild einer in die Höhe geschwungenen, mitnichten kantig-winkligen Form kommt.

Die starke utilitaristische Strömung innerhalb der frühsowjetischen Kunst, die an die Stelle von Kunst die Gestaltung nützlicher Dinge zu setzen forderte, blieb nicht ohne Einfluss auf Malewitsch. Seine „Architektone“ genannten Architekturmodelle, die die Ausstellung beschließen, stellen keine baubaren Entwürfe dar, beeinflussten aber die Arbeit der Architekten etwa am Moskauer Institut „Wchutemas“ – und unsere Vorstellungen von den Möglichkeiten der Architektur bis heute.

Zunehmend isoliert – und zugleich mit der Entwicklung des Suprematismus an einen Endpunkt gelangt –, wandte sich Malewitsch Ende der zwanziger Jahre wieder der Abbildung von Wirklichkeit zu. Zwei Gemälde mit dem Titel „Suprematismus: Weibliche Figur“ von 1928/29 beschließen die Ausstellung, die das problematische Spätwerk auslässt. Sie zeigt den Höhepunkt von Malewitschs Schaffen, nicht seine Niederlagen im aufkommenden Stalinismus.

Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13/15, bis 27. April. Katalog 35 €.

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