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Stern über Charlottenburg. Annette Hauschilds Aufnahme vom Dach des Europa-Centers.

©  C/O Berlin 2013 /Annette Hauschild

Die Galerie C/O Berlin im Amerika-Haus: Ankunft Zoologischer Garten

Noch kann die Fotogalerie C/O Berlin das Amerika-Haus nicht beziehen. Aber sie wärmt es schon mal an – mit der Open-Air-Ausstellung „Ostkreuz: Westwärts“.

Das Amerika-Haus ist weg. Die weiße Plane, unter der es versteckt ist, gleicht einer Leinwand für kommende Attraktionen. Und der künftige Glanz des Fotoforums C/O Berlin, das ins Amerika-Haus zieht, leuchtet auch schon in den Augen von Leiter Stefan Erfurt und Chefkurator Felix Hoffmann. Große Vorfreude. Keiner kann ihnen das neue Haus jetzt mehr wegnehmen, der Mietvertrag ist für 16 Jahre unterschrieben, doch die Perspektive heißt: für immer hierbleiben. Im Westen. Damit C/O Berlin mit dem Museum für Fotografie und der Helmut Newton Foundation gleich gegenüber der Hardenbergstraße ein attraktives Fotokunstzentrum am Zoo bildet.

Was für Aussichten. Dabei drohte C/O Berlin die Heimatlosigkeit, als Erfurt und Co. quasi schon auf gepackten Kisten im Postfuhramt saßen. Die Tage im geliebt-maroden Gehäuse an der Oranienburger Straße in Mitte waren längst gezählt, da zerschlug sich die scheinbar letzte Hoffnung: Ein Umzug ins Atelierhaus im Monbijoupark. Das Gebäude wird gerade abgerissen. „Wir wären fast zwischen den verschiedenen Nicht-Lösungen zerrieben worden“, erinnert sich Stefan Erfurt. Erst Ende 2012 tauchte die Option Amerika-Haus auf. Eine Notlösung? Ein Glücksfall. Wieder zieht das Fotografie-Forum in ein traditionsreiches Gehäuse. Das 1956/57 von Bruno Grimmek erbaute Haus mit der Sternenbannerfassade steht nicht nur für das wechselhafte deutsch-amerikanische Verhältnis, sondern seit Anbeginn auch für die Begegnungen mit der US-Kultur. Speziell an Fotoschauen der 80er Jahre mit Lee Friedlander oder Garry Winogrand wird C/O Berlin anknüpfen können.

Die gezeigten Arbeiten sind noch dunkelkammerfrisch

Das tut das Haus bereits seit Juni – obwohl es noch instand gesetzt und dann umgebaut wird, was sich noch bis zum Frühsommer 2014 hinziehen kann. Da C/O Berlin noch nicht rein kann, hat es draußen seine Zelte aufgeschlagen. Das bedeutet: Schaustelen aufgestellt. „Wir wärmen den Ort an“, sagt Felix Hoffmann, „und setzen gleichzeitig das Signal: Uns gibt es noch!“ Die erste Freiluftausstellung unter dem Titel „Bourgeoisie, Swing und Molotow-Cocktails“ präsentierte Archivbilder aus der Historie des Amerika-Hauses. Die Gruppenschau „Ostkreuz: Westwärts“ ist eine Art Fortsetzung, diesmal mit dunkelkammerfrischen Auftragsarbeiten. 13 der 18 Mitglieder der Agentur Ostkreuz haben den Bezirk fotografiert.

Ein Kaleidoskop der Gegensätze. Reich und Bettelarm begegnen sich, die Vergnügten eilen an den Verzweifelten vorbei, die glamouröse Seite des Westens schlägt in die grausame um. Jordis A. Schlösser zeigt, in vielfach giftigen Farben, das Treiben in den Konsum- und Prunkzonen des Ku’damms. Tobias Kruse hat sich der Randexistenz von Strichern am Bahnhof Zoo genähert. Thomas Meyer entdeckte die wenige Meter entfernte UdK als stillen Ort – während der Semesterferien. Jörg Brüggemann fotografierte im Zoologischen Garten, während Anne Schönharting gutsituierte Charlottenburger – darunter Peter Raue oder die Malerin Elvira Bach – in ihren Wohnungen porträtierte.

Die soziale Vielfalt ist das eine, aber vor allem besticht die bildsprachliche Variationsbreite der Ostkreuz-Fotografen. Darunter faszinieren die abstrakten Impressionen Linn Schröders, einer Lyrikerin mit der Kamera. Ihre Serie heißt „Charlottenburg“, und, ja, es ist derselbe Bezirk, nur wieder anders gesehen. Stefan Erfurt vergleicht C/O Berlin mit einem Bienenstock: „Wir ließen die Ostkreuz-Fotografen ausschwärmen, um für uns Bilder zu sammeln“.

Fotografie, selbst neue, friert das schon Vergangene ein

Manchmal hatten es die Bienen nicht weit. Werner Mahler, 1990 Gründungsmitglied der Ostkreuz-Agentur, blieb gleich im Amerika-Haus. Das war zuletzt eine Festung, denn antiamerikanische Protestwellen von den 60er Jahren bis kurz nach dem 11. September 2001 steigerten die Sicherheitsbedürfnisse: Gitter vor den Fenstern, Panzerglasscheiben, Folien, die Blicke von außen abschirmten. Die Tarnung nutzte Mahler für sein Projekt, von innen unbemerkt die Obdachlosentreffs im Vorgarten zu erkunden. Eine moralische Gratwanderung für den Fotografen. „Ich kam mir vor wie ein Paparazzo“, sagt Mahler. Doch anders als Paparazzi fokussierte er nie auf die Gesichter, seine unscharfen Schwarz-Weiß-Bilder sind eher Bewegungsstudien, Choreografien des Elends. Inzwischen sind der Vorgarten und die dort Gestrandeten verschwunden. Fotografie, selbst neueren Datums, friert das schon Vergangene ein. Die Gegend wird sich verändern.

Und auch C/O Berlin trägt dazu bei. Die Zukunft der Fotogalerie sieht einigermaßen rosig aus. Aber wie genau? Kurator Felix Hoffmann ist zwar noch skeptisch, ob das Forum seine dem Postfuhramt wohl nachtrauernden „42 000 jungen Facebook-Fans auf die Reise in den Westen wird mitnehmen können“. Auch grübelt er, ob das Gros der 30 000 Euro Monatsmiete wirklich über die Eintrittsgelder hereinkommen kann. Doch Ideen sind das Letzte, woran es den C/O-Verantwortlichen mangelt.

Wenn nach weiteren Open-Air-Ausstellungen die Plane fällt, wäre endlich das schon seit langem geplante Solo von René Burri dran. Der große Schweizer Fotograf dokumentierte von 1957 – dem Eröffnungsjahr des Amerika-Hauses – bis in die 60er Jahre die Teilungsphase der Stadt. „Wir verlassen das Berlin-Thema dann aber auch bald“, sagt Hoffmann und kündigt eine Schau zu Michelangelo Antonionis „Blow Up“ an, die sich mit den Wechselwirkungen von Fotografie und Film auseinandersetzen wird. Es handelt sich um eine Koproduktion mit der Wiener Albertina. Dort wird die Ausstellung Anfang 2014 gezeigt, Ende nächsten Jahres soll sie im Amerika-Haus eröffnen.

C/O Berlin, „Ostkreuz: Westwärts. Neue Sicht auf Charlottenburg“, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22-24, bis 24. November durchgehend geöffnet.

Jens Hinrichsen

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