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Otto Mueller: "Zwischen Bäumen stehendes Mädchen", um 1925

© Galerie Nierendorf

Die Galerie Nierendorf feiert 95-jähriges Jubiläum: Träumer im Gebirge

Die Galerie Nierendorf schenkt sich zum Geburtstag eine Ausstellung aus ihren Beständen. Darunter sind große Expressionisten, aber auch weniger bekannte Maler.

Ein Solitär gibt den Grundton des weitreichenden Schwingkreises: „Zwischen Bäumen stehendes Mädchen“ (um 1925) von Otto Mueller. Nicht nur der spröden Schönheit des Aktes wegen, sondern weil dieses Aquarell als letztes von den Nazis beschlagnahmtes „entartetes“ Kunstwerk einer Ikone gleichkommt. Auf der Rückseite, mit einem roten „E“ gestempelt, ist die Nummer 16 558 vermerkt. Florian Karsch, der ehemalige Inhaber der Galerie Nierendorf, hat das Bild kurz nach Kriegsende vom Kunsthändler Hans Krenz erworben; da war die Legende noch unbekannt. Ihre Spur führt zurück über das Erbe von Marga Böhmer ins Depot des Bildhauers und Barlach-Vertrauten Bernhard Böhmer, der von den Nationalsozialisten für die Kapitalisierung beschlagnahmter Kunst zugelassen worden war und sich 1945 das Leben nahm.

Das Blatt galt lange Zeit als unverkäuflich. Nun, in der Jubiläumsausstellung zum 95-jährigen Bestehen der Galerie, wird es angeboten. Das Mädchen zwischen Bäumen ist auch deswegen ein Schlüsselwerk, weil es an die Tradition der Galerie erinnert, die von Anfang an den Expressionisten offen stand. Florian Karsch war es auch, der nach dem Krieg den verfemten und der Öffentlichkeit fast unbekannten Künstlern wieder zu Ansehen und Marktwert verhalf. Seine Expertisen zu gefälschten Bildern, etwa im Fall Mrugalla (1975), sowie Werksverzeichnisse zu Otto Mueller, Otto Dix und Joachim Karsch fanden helle Aufmerksamkeit. Gestern feierte er im engen Kreis seinen 90. Geburtstag.

Ein Anliegen der aktuellen Ausstellung ist es, die Aufmerksamkeit auch auf weniger bekannte Maler im Programm der Galerie zu lenken. Beinahe ungläubig steht der Betrachter vor den fließenden Aquarellen von Carl Grossberg, dem Bauhaus-Schüler, dessen Industriebilder in den frühen dreißiger Jahren der Neuen Sachlichkeit zu Relevanz verhalfen. Im Aquarell ist er ein Träumer.

Gegenüber hängt, großzügig im Farbauftrag, das „Gebirgsdorf mit Fabrik“ (4500 Euro) von Friedrich Feigl, einem Prager Künstler, der etliche Jahre in Friedenau lebte. An Xaver Fuhrs „Pfarrkirche St. Kilian“ (1928) besticht die grafische Linearität, die noch den Einfluss des Kubismus erkennen lässt. Starke Kontraste scheinen die Weltsicht des Autodidakten wiederzugeben, der 1931 den Villa-Romana-Preis erhielt. Fuhr gehörte ebenfalls zu den „Entarteten“. Seine Werke hingen in der Münchner Schandausstellung. 1934 wurde ihm Berufsverbot erteilt. Um dem Zugriff der Gestapo zu entkommen, zog er sich in die Oberpfalz zurück. Ein späteres Gemälde, „Häuser im Gebirge“ (60 000 Euro) zeigt einen Stilwandel; Konturen und Farbgebung sind weicher. Hier scheint die Orientierung an den Brücke-Künstlern durch.

Nicht weniger prominent die Plastik „Der Flötenbläser“ (1936), eines der populärsten Werke Ernst Barlachs. Es wird „auf Nachfrage“ angepriesen, war aber in den Räumen schon mit 130 000 Euro ausgepreist zu sehen. Ähnlich die wunderbare Kleinplastik „Der Buchleser“ aus demselben Jahr. Mit diesen sensiblen Figuren hat Barlach in Zeiten härtester politischer Bedrängnis versucht, der Verzweiflung entgegenzuwirken. Geheimnisvoll in sich gekehrt Wilhelm Lehmbrucks „Große Sinnende“, die einmal fälschlich als Raubguss betrachtet wurde, und Gerhard Marcks „Kleine Stehende“ (25 000 Euro), von der es nur zwei Exemplare gibt. Ein gelungener Einblick in den reichhaltigen Bestand der Galerie. Jens Grandt

Galerie Nierendorf, Hardenbergstr. 19; bis 11. September, Di–Fr 11–18 Uhr

Jens Grandt

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