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Kultur: Die gefährlichen Anderen

Ein Schritt vor: Bloc Party, Stars des neuen Brit-Pop, werden mit ihrem zweiten Album politisch

Kele Okereke hatte sich in Großbritannien immer zu Hause gefühlt. Schließlich ist der Sänger und Gitarrist von Bloc Party hier geboren und aufgewachsen. Hier hatte er seine Freunde, mit denen er im Club tanzte. Doch dann geschahen einige Dinge, die dem Sohn nigerianischer Einwanderer zeigten, dass er doch nicht so dazugehörte, wie er immer gedacht hatte. Nach den Londoner Anschlägen im Juli 2005 war er angewidert von den Reaktionen der Presse: „Sie schienen mir anti-muslimisch und fremdenfeindlich. Und so fing ich an nachzudenken,“ erzählte er dem Musikmagazin „Rolling Stone“. Plötzlich spürte der dunkelhäutige junge Mann, dass auch er als einer der „gefährlichen Anderen“ gesehen wurde.

Noch verstärkt wurde dieses Gefühl nach dem 21. April 2006. An diesem Tag wurde der 18-jährige Christopher Alaneme bei einem rassistisch motivierten Angriff in einer Kleinstadt der Grafschaft Kent erstochen. Okereke kannte ihn, denn seine Mutter ist gut befreundet mit der Mutter des Jungen, den er seinen „Cousin“ nennt. Von diesem Mord inspiriert ist der bedrückendste Song auf dem neuen Bloc-Party-Album „A Weekend In The City“. Er heißt „Where Is Home?“ und beginnt mit einer choralartig vorgetragenen, todtraurigen Szene, die nach der Beerdigung des Jungen spielt. Sie geht nahtlos über in die zentrale Erkenntnis des Stücks: „In every headline we are reminded/That this is not home for us“, in jeder Überschrift werden wir daran erinnert, dass dies nicht unser zu Hause ist. Ein stolperndes Schlagzeug und eine Zitterblitze schleudernde Gitarre kommen dazu und verbreiten eine Atmosphäre nervöser Verunsicherung. Erst nach über zwei Minuten gibt es so etwas wie kurzzeitige Erlösung in Form eines treibenden Riffs und der langgezogenen Frage „Where Is Home?“

Noch vor zwei Jahren hätte sich Kele Okereke diese Frage wohl so nicht gestellt. Damals wurde seine Band schlagartig mit ihrem Debütalbum „Silent Alarm“ bekannt. Nach Franz Ferdinand sorgten sie zusammen mit Maxïmo Park für Nachschub mitreißender Indierock-Hits. „Banquet“ und „Helicopter“ wurden zu Tanzflächenfüllern. Das Album verkaufte sich weltweit über eine Millionen Mal, der „New Musical Express“ kürte es zur Platte des Jahres. Noch immer ist es eine der besten Platten des New Wave/Post Punk-Revivals.

Gäbe es keine Bandfotos und Videos, hätten viele Fans erst beim Konzertbesuch festgestellt, dass der Frontmann der vier Londoner schwarz ist. Tatsächlich ist Okereke der erste nicht-weiße Protagonist des Brit-Pop, einer Musikrichtung die seit jeher von blassen, dünnen Jünglingen dominiert wurde. Das gilt sowohl für die erste Blütezeit zu Beginn der neunziger Jahre mit Oasis, Blur und Pulp als auch für den derzeitigen zweiten Genre-Frühling. Ausnahmen wie Drummer Gary Powell (früher Libertines, jetzt Dirty Pretty Things) bestätigen diese Regel. Schwarze sind im Rock stets Außenseiter geblieben, genau wie Weiße im R’n’B oder im HipHop. Zwar sind die Grenzen inzwischen durchlässiger, doch letztlich spielt jede Farbe immer noch in ihrer eigenen Ecke.

Kele Okereke bringt seine Außenseiterperspektive nun erstmals explizit ein. Und nicht nur in den Texten. Auch musikalisch hat er seiner Band eine Kurskorrektur auferlegt – weg von der typischen Gitarrenrock-Songstruktur. „Die Idee, ein geradliniges, authentisches Rockalbum zu machen, bei dem wir alle im gleichen Raum gleichzeitig spielen, scheint mir nun total langweilig. In einem Song von Timbaland oder Neptunes oder Li’l John stecken viel mehr avantgardistische Ideen, als man je bei den Kooks oder Razorlight hört,“ sagt er.

Ganz ohne bandinterne Konflikte ging das offenbar nicht über die Bühne, doch es hat sich gelohnt: „A Weekend In The City“ steckt wieder voller Bloc- Party-Qualitäten wie toller Gitarrenlicks, gleißend schön gesungener Melodien und unglaublicher Dynamo-Drums. Doch darüber hinaus sind die Songs nun kunstvoller geschichtet und weniger leicht ausrechenbar als auf dem Debüt. So entwickelt sich „Waiting For The 7.18“ aus einer harmlosen Glockenspiel-Ticktack-Melodie zu einer Monsterhymne von Muse-Format, die plötzlich bremst, um dann in der zweiten Hälfte noch mal mit einem ganz anderen Refrain um die Ecke zu kommen. Immer wieder sperren sich die Songs durch derartige strukturelle Überraschungen gegen die leichte Konsumierbarkeit.

Dazu kommt die auffälligste und gewagteste Neuerung im Repertoire des Londoner Quartetts: Chöre. Sie geben der Platte einen ganz eigenen Sound. Angeregt wurde Okereke dazu von den Kompositionen des ungarischen Avantgardisten György Ligeti. Vor allem dessen „Lux Aeterna“ habe es ihm angetan, sagt er. So kann man nun auf der großartigen Single „The Prayer“ einen Chor bewundern, der zusammen mit dem tribalhaften Beat eine Stammestanz-Stimmung erzeugt. Darüber fleht Okereke, dass Gott ihm „Grace“ und „Dancing Feet“ geben möge, damit er auf der Tanzfläche „unstoppbar“ werde. Die Gitarren operieren in diesem Stück fast unterhalb der Wahrnehmungsgrenze, dafür gibt es im Refrain eine Keyboard-Melodie und als Dessert noch ein Zitat aus Kate Bushs Hit „Hounds Of Love“. Das ist bester Breitwand-Pop, der die auf dem Album vorherrschende Melancholie auflockert.

Denn trotz der vielen Party-Referenzen in den Texten ist „A Weekend In The City“ keine Tanzplatte, sondern eher eine zum Sitzen und genau Hinhören. Dabei kann man einiges entdecken, zum Beispiel die wunderbare Hymne „Kreuzberg“, in der Berlin zum Schauplatz einer großen Liebesenttäuschung wird. Oder das nach einem Antidepressivum benannte „SRXT“, in dem es um einen Selbstmörder geht. Das Stück entwickelt sich von leisem Trapsen zu einer gewaltigen Klangmauer ohne dabei in Kitsch zu verfallen. Das ist alles sehr kunstvoll gemacht und definitiv ein großer Schritt für die junge Band. Ihre Kollegen von Maxïmo Park und den Kaiser Chiefs, die ebenfalls in den kommenden Wochen ihre zweiten Alben präsentieren, werden es nicht leicht haben, mitzuhalten.

Das Album „A Weekend In The City“ (V2/Rough Trade) von Bloc Party erscheint am Freitag.

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