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Kultur: Die Geister großer Frösche

Das Bild ist trügerisch. Der junge Mann, der im Kampfanzug ideologisch aufgeladene Statements in eine Videokamera spricht, ist nur halb so selbstsicher als es den Anschein hat.

Das Bild ist trügerisch. Der junge Mann, der im Kampfanzug ideologisch aufgeladene Statements in eine Videokamera spricht, ist nur halb so selbstsicher als es den Anschein hat. Plötzlich rutscht er nervös auf seinem Stuhl hin und her. Nach einigem Schweigen bricht er ab. Schnitt, alles von vorne. „Mein ist Jamal Sati, geboren 1962 im kleinen Dorf Kamed El-Iawz, in der Bikaebene“ – eine Eröffnungsformel, die er an diesem Tag noch öfter sprechen wird. Bis die Szene zu seiner Zufriedenheit im Kasten ist. Er fährt nach Hasbayya und sprengt sich vor einem israelischen Militärposten in die Luft.

Die libanesischen Künstler Elias Khoury und Rabin Mroué wollen im Berliner Haus der Kulturen der Welt den heroischen Impetus der Selbstmordattentäter dekonstruieren: Das Zeitdokument aus dem Libanonkrieg haben sie als mediales Readymade in ihre Performance „Three Posters“ eingebaut. Eine strenge Kodifizierung von Hass und Ideologie wird bis in die letzten Varianten ausgespielt. Während der „Märtyrer“ Sati in seiner Abschiedsrede befangen zwischen individuellen und politischen Aussagen hin und her switched, arbeitet die Kamera mit einer Inszenierung der Unsicherheiten.

Mal zoomt sich das Videobild nah an das Gesicht Satis heran. Mal zeigt es in der Totale den Selbstmordattentäter, vereint mit typischen Pin-ups der Revolution: Lenin und Khomeini als Hintergrund-Deko für die mediale Inszenierung lebender Bomben. Am Ende fährt die Kamera so weit zurück, dass nur noch eine Studioatmosphäre übrigbleibt, Stellwände, provisorische Tische. Der politische Held, ohne alles. Wie ein Nachrichtensprecher klammert er sich an einem Stück Papier fest, eine menschliche Marionette.

Die Aufführung von „Three Posters“ trifft das Anliegen des Performance-Festivals „In Transit“ genau. Es geht um ein Spiel mit Perspektiven, mit Sicherheiten, die ihre Bodenhaftung verlieren. Dass solche Herangehensweisen nicht nur irritieren, sondern zu Perspektiverweiterungen führen können, zeigt auch der Singalese Matthew Ngui. Bei „In Transit“ versucht Ngui das Anliegen und den Prozess des Festivals selbst zu visualisieren. Seine begehbare Videoinstallation spielt nicht nur mit den Tücken unserer Wahrnehmung, sondern versucht, klassische Sehweisen medial zu überlisten.

Zwei Kameraeinstellungen, die auf einer Leinwand zu einem gemeinsamen Bild verschmelzen, liefern unterschiedliche Ansichten eines Raumes, an dessen neue Geometrie sich der Betrachter gewöhnen muss. Das so entstandene Videobild wird zur Metapher für interkulturellen Austausch: Mehrere Augen sehen mehr als eines, zusammengenommen sehen sie die Wirklichkeit vor allem: anders.

Weniger glücklich erscheint diese Perspektiverweiterung beim Auftritt des Indigena-Stamms Karajß aus Brasilien. Zwar wirken die als „rituelle Performance“ angekündigten Gesänge und Tänze imposant, doch fehlt es an hilfreicher Übersetzung. Auf „Geister großer Frösche“ oder „Geister, die nur an Sex denken“, wie eine kleine textliche Handreichung den bunten Beschwörungsreigen kommentiert, muss man sich seinen eigenen Reim machen. Vom religiösen Ritual des archaischen Indigena-Volkes bleibt für den Zuschauer am Ende eine nichtssagende, leere Form. Während mit Karajß eine Parallelgesellschaft der anderen ihr Brauchtum vortanzt, setzt der interkulturelle Exotismus auf Rezepte der Eventkultur. Ralf Hanselle

Am 11. 6. bei „In Transit“ im Haus der Kulturen der Welt: Session mit Michel Groismann (10 Uhr), mit Vincent Mantsoe (11 Uhr). Ab 21 Uhr in der Lounge: DJs Tilman & Kriton.

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