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Kultur: Die gewonnene Zeit

Christine LemkeMatwey forscht nach der Frau in Wolfgang Rihm Wie wär’s denn, verehrte Damen, mit einem mobilen „backWagen“ aus der „softMatic“-Serie? Oder mit einem von Gerd Käfer (ja, der Käfer) designerten Eierkocher?

Christine LemkeMatwey forscht

nach der Frau in Wolfgang Rihm

Wie wär’s denn, verehrte Damen, mit einem mobilen „backWagen“ aus der „softMatic“-Serie? Oder mit einem von Gerd Käfer (ja, der Käfer) designerten Eierkocher? Siemens weiß nun einmal – um einen alten Werbespruch der Konkurrenz zu zitieren –, was Frauenherzen wünschen. Aber weiß Siemens das wirklich? Wolfgang Rihm, so nehmen wir mit freudiger Erregung zur Kenntnis, erhält den Siemens-Musikpreis 2003 (siehe Meldung unten). Mit freudiger Erregung: Weil sich in Rihms Musik ganz zweifellos, wie die Jury befindet, „der Glaube an die unzerstörbare Existenz des schöpferischen Individuums“ manifestiert. Mit freudiger Erregung: weil Rihm seinen Ruf als einer der vitalsten und geistreichsten Komponisten der Gegenwart schon in seiner ersten Reaktion auf den Preis erneut festigte („Wunderbar! Aber es stört bei der Arbeit.“). Mit freudiger Erregung: weil Siemens, ein Flaggschiff der deutschen Wirtschaft, eben nicht nur in Handys, Hörgeräten und Lokomotiven macht, sondern auch in Musik. Seit 1973.

Bleibt die Sache mit den Frauenherzen. 30 Jahre Siemens-Preis – da liest sich die Liste der Preisträger zwangsläufig wie ein Who is Who des musikalischen 20. Jahrhunderts: von Britten über Fischer-Dieskau bis Abbado, von Rostropovic über Henze und Ligeti bis Harnoncourt. Allesamt hochmögende, bestens beleumundete, exquisite Künstler. Allein, verehrte Damen an den mobilen „backWägen“ aus der „softMatic“-Serie, fällt Ihnen etwas auf? Richtig: Es handelt sich hier ausnahmslos um männliche Sänger, Komponisten, Dirigenten, Pianisten, Cellisten, Geiger und Musikwissenschaftler. Nicht, dass wir schrankenlos der Überzeugung wären, dass Musik ein Geschlecht habe, oder dass wir hier die Urgründe kultureller gender studies neu aufwühlen wollten – aber befremdlich ist das Ganze schon. Selbst an den Pulten des Arditti Quartetts, dem 1999 als bislang einzigem Ensemble die Ehre widerfuhr, sitzen bekanntlich „nur“ Männer...

Woran liegt’s? Daran, dass die Musik der Gesellschaft per se hinterherhinkt? Daran, dass auch die Jury traditionell „nur“ aus Herren besteht (Wolfgang Rihm wurde aus derselben vor zwei Jahren eigens hinauskomplimentiert, um den Preis erhalten zu können)? Halt!, ruft da das Flaggschiff der deutschen Wirtschaft und wedelt mit einer anderen Liste, der seiner Förderpreisträgerinnen nämlich. Sieben Komponistinnen finden sich hier notiert, ihres Zeichens ebenfalls exquisit und hochmögend und gut beleumundet (von Olga Neuwirth über Charlotte Seither bis Chaya Czernowin). So weit, so viel versprechend. Die ritualisierte Missachtung einer Maria Callas freilich (die erst 1977 starb!), einer Martha Argerich oder einer Adriana Hölszky, sie wird dadurch noch lange nicht wettgemacht. Schon gar nicht im Jahr des 30-jährigen Preisjubiläums, was doch ein schöner Anlass gewesen wäre. Aber so ist das mit den modernen Küchengeräten: Alles geht immer schneller und leichter von der Hand – und was die Frauen mit der gewonnenen Zeit anfangen, will niemand wissen.

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