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Kultur: Die Gipfeltürmer

Hoch hinaus: Vor dem Abriss errichten Künstler im Palast der Republik einen begehbaren Berg

Die Beichtboxen sind noch nicht fertig. Die Beichtboxen sind kleine hellblaue Ein-Mann-Kästen, die auf der großen Freitreppe im Foyer auf Kundschaft warten. Hier beginnt der „Pilgerweg“, einer von drei Wanderwegen durch den künstlichen Berg, der derzeit durch den Palast der Republik wächst: ein simuliertes Hochgebirge als spöttische Antwort auf ideologisch aufgerüstete Symbol-Debatten und künstliche Schlossfassaden.

Der Berg, ein Stahlgerüst, auf das weißes Gewebe gespannt wird, ist eine Erfindung der Architektengruppe „raumlabor“, die im vergangenen Sommer einen Teil des ausgehöhlten Palastes geflutet hatte und Besucher in Gummibooten durch die Ruine paddeln ließ. Zwischen den Stahlträgern schwammen künstliche Fassadenteile aller möglichen und unmöglichen Stilrichtungen und Epochen: der alternative Erlebniszoo als inszenierte Architekturkritik.

Diesmal wird nicht geflutet, sondern ordentlich hochgestapelt. Der Berg wächst vom Schlossplatz durch das Foyer und den Großen Saal bis über das Dach des Palasts. Gut 100 Tonnen Stahl wurden verbaut, die 6500 Quadratmeter des weißen Kunststoffs überspannen 10000 Kubikmeter virtueller Gebirgsmasse. Der deutsche Bergbau ist traditionsgemäß ein unersättliches Subventionsgrab – logisch, dass auch künstlerisch wertvoller Bergbau seinen Preis hat. Der Berg im Palast kostet samt dreiwöchiger Theater- und Performance-Bespielung etwa 400000 Euro. Verglichen mit den Kosten einer künstlichen Schlossfassade (80 Millionen Euro), ist das bescheiden. Getragen werden die Kosten für den neuen Erlebnispark der Szene von Sponsoren, von Abendeinnahmen und zu einem erheblichen Teil vom Hauptstadtkulturfonds, der schon im letzten Sommer die Palastbespielung mitfinanziert hatte.

Vermutlich wird er sich mit der erneuten Subventionierung einer postidelogisch-dadaistischen Palast-Bespielung wieder jede Menge Ärger und den Vorwurf einhandeln, mit Hauptstadtkultur habe das lustige Event-Spektakel nicht das Geringste zu tun. Das Schönste an diesen Debatten ist ihr vorhersehbares Ende: Der Berg stellt die letzte Palast-Bespielung vor dem Abriss rar. Dass er den Abriss verhindert oder der Forderung, den Palast zu erhalten, neue Freunde gewinnt, ist nicht zu erwarten.

Der Architekt und „raumlabor“-Aktivist Benjamin Foerster-Baldenius ist einer der Miterfinder des Berges, der für ihn selbstverständlich wesentlich mehr ist als bloß ein Berg. Die Vermutung, der Berg sei nichts als eine Party-Location für DDR-Nostalgiker und Amüsiermeile für das übliche Berlin-Mitte-Publikum, kann den Konzept-Architekten keine Sekunde irritieren. Die Frage, was genau der Unterschied zwischen seinem Berg und zum Beispiel den künstlichen Landschaften im Europapark Rust ist, kontert Foerster-Baldenius routiniert. „Der temporäre Berg ist eine Suchmaschine. Er eröffnet den Freiraum für die Debatte, ohne das Gebäude abzureißen. Der weiße Berg ist eine Projektionsfläche, an der sich Ideen bündeln können“, erklärt der debattengestählte Diskursarbeiter.

Irgendwie klingen seine Sätze, als kämen sie aus einem schlecht gelüfteten Seminarraum – keine Spur von Bergluft. Ob es zum Beispiel den hellblauen Beichtboxen gelingt, „den Freiraum für die Debatte“ zu eröffnen, darf man getrost bezweifeln. Dass die Besucher in den Kästchen laut Foerster-Baldenius „mit einem Wort bestrahlt“ werden, mag immerhin den einen oder anderen verstrahlten Esoteriker erfreuen. Auch die weiter oben im Gebirge angesiedelte „nonkonfessionelle Bergkapelle“ (Foerster-Baldenius) dürfte ihren Reiz für erlebnishungrige Sinnsucher und amüsierwilliges Laufpublikum haben. Ein Computer bietet dort den Service „Plug & Pray“ an und eröffnet unkomplizierte Möglichkeiten, die Religion zu wechseln. In einer anderen Nische der „Bergkapelle“ wird für eine virtuelle Sekte geworben oder passend zum Ort des Geschehens eine Honecker-Rede an die Jugend mit der – Achtung, Kalauer! – Berg-Predigt gekoppelt. Eine intellektuelle Überforderung des Publikums ist angesichts solcher neckischer Scherze nicht zu befürchten.

Lässt man sich nicht von den verschwurbelten Selbstinterpretationen der Berg-Erfinder beeindrucken, bleibt ein großer Abenteuerspielpatz übrig. Wer will, kann zum Beispiel den Großen Saal auf einer Brücke überqueren. Durch die dunkle Höhle des ausgeweideten Saales wächst der Berg, eine Sound-Collage des wunderbaren Konzept-Musikers Paul Plamper weht durch das Tal, und Klang-Ablagerungen der Palast-Geschichte, deutsche demokratische Tanzmusik und Fetzen aus Reden vermischen sich mit Berg-Geräuschen. An anderen Stellen der Bergwanderung begegnet man Leuten, die es zu DDR-Zeiten kaum bis ins Unterhaltungsprogramm des Palastes geschafft hätten: einem Michael-Jackson-Double oder Leuten, die, weil ihnen gerade nichts Besseres eingefallen ist, eine politische Partei gegründet haben – die „Bergpartei“.

In Gruppen von jeweils 20 Bergwanderern können sich Besucher auf den Weg ins Gebirge aufmachen – und dabei zwischen „Pilgerweg“, „Philosophenpfad“ und einem steilen Bergsteigerweg für Extremkletterer wählen. Über enge Wege, Klippen und Abgründe führen die schmalen Metall-Stege, festes Schuhwerk macht den Kunstgenuss wesentlich unkomplizierter. Wer sich für den Bergsteigerweg entscheidet, muss sich anseilen und mit seiner Seilschaft über die Klippen steigen.

Weil auch Hochstapler und Bergsteiger ihre Basis brauchen, laden am Fuß des Berges vor dem Palast ein Zeltlager und der Gasthof „Bergkristall“ zum Übernachten ein. Für 9 Euro darf man es sich im Zelt mit Blick auf das Außenministerium bequem machen. Die Übernachtung im Minihotel kostet 30 Euro für eins der vier Doppelzimmer mit Frühstück, inklusive der Benutzung des hoteleigenen Swimmingpools, der in Form eines wassergefüllten Stahlcontainers der Firma „Sisyphos“ auf dem Schlossplatz steht.

Der Berg, 4. bis 26. August im Palast der Republik. Rundwanderweg tgl. 11–23 Uhr, Theaterperformances 4.–6., 11.–13., 18.–20.August, 19–23 Uhr. Nachmittagsvorstellungen 7., 14. u. 21. 8. 15–19, 17. u. 24. 8. 11–15 Uhr. Karten unter Tel. 030-20648753 oder 030-25900427.

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