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Nah. Tom (Leonard Scheicher) und Schwester Laura (Nellie Thalbach).

© Barbara Braun

„Die Glasmenagerie“ an der Komödie am Ku'damm: Kind, du musst heiraten

Melancholisch: An der Komödie am Kurfürstendamm geben drei Generationen Thalbach „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams.

Da, das ist doch der… Und die da, die hat doch neulich bei Dings mitgespielt... Und der, den kennt man doch von ... Großes Blitzlichtgewitter vor und in der Komödie am Kurfürstendamm, fast Berlinale-Feeling. Viele bekannte Gesichter tummeln sich im kleinen Foyer. Klaus Wowereit gibt sich die Ehre, Claus Peymann huscht ebenfalls vorbei. Und da hinten, der mit dem Schal: „Das ist ja Jogi Löw!“, raunt es begeistert durch die Menge.

Kein Wunder, dass das Theater an diesem Abend zum Treffpunkt der Berliner Hautevolée wird. Seit Tagen ist die Premiere von „Die Glasmenagerie“ (bis 17.4.) Stadtgespräch. Immerhin stehen diesmal drei Generationen Thalbach gleichzeitig im Rampenlicht: Unter der Regie von Katharina Thalbach spielen sowohl Katharinas Tochter Anna Thalbach, 42, als auch die 21-jährige Enkelin Nellie Thalbach.

Der Familienclan aber hat sich, und das ist die wirklich gute Nachricht, weder auf Vorschusslorbeeren noch auf den eigenen Promi-Status verlassen. Tief ist das Team zusammen mit Musiker Emanuel Hauptmann eingetaucht in das melancholische Stück von Tennessee Williams. Regie und Schauspieler haben es sich nicht leicht gemacht mit den ambivalenten, komplexen Charakteren des amerikanischen Autors, sondern haben, ganz anders als die überdrehten Plakatmotive vermuten lassen, gerade das Tragische und Schmerzhafte der Geschichte fein herausgearbeitet.

Tennessee Williams gelang mit dem Stück 1944 der Durchbruch

Die stark autobiografisch geprägte Handlung ist schnell erzählt: Amanda Wingfield (Anna Thalbach) lebt mit ihren erwachsenen Kindern Tom (Leonard Scheicher) und Laura (Nellie Thalbach) in ärmlichen Verhältnissen. Der Vater hat sich vor Jahren davon gemacht, nur ein Foto und ein paar zerkratzte Schallplatten erinnern noch an ihn. Die kleine Familie, ständig um ihr wirtschaftliches Überleben bangend, ist in festen Ritualen erstarrt. Mutter Amanda schwärmt von ihrer Jugend, ihrer früheren Anmut, ihren Verehrern. Sohn Tom muss als Lagerarbeiter Geld verdienen, träumt heimlich von einem Leben als Schriftsteller. Seine Nächte verbringt er im Kino.

Tochter Laura hat einen verkrüppelten Fuß und ein derart introvertiertes Wesen, dass ihr jeder Kontakt zur Welt schwerfällt. Ihre Tage vergehen mit der Pflege ihrer winzigen Glastiere – ihrer Glasmenagerie. Sie ist auf dem Weg in die biografische Vollkatastrophe: Außenseiterin, alte Jungfer, lebenslange Armut. Nur eine Ehe, meint die resolute Mutter, kann das Blatt noch wenden.

Williams, 1911 geboren und lange erfolgloser Drehbuchautor und Dramatiker, gelingt 1944 mit diesem Stück der Durchbruch. Er setzt darin nicht nur seinem jüngeren Ich, sondern vor allem seiner Mutter und seiner psychisch kranken Schwester ein Denkmal. Zugleich fügt er die private Tragödie kongenial in die politische Zeitgeschichte ein. Die Handlung ist im St. Louis der späten dreißiger Jahre angesiedelt. In Deutschland rüstet Hitler auf. Es ist das Jahr, in dem Guernica bombardiert wird. In den USA hört die Jugend Jazz, trinkt Schnaps und sehnt sich nach Abenteuer. Die Bruchstellen der westlichen Zivilisation sind bereits zu erahnen.

Unglaublich intensiv: Leonard Scheicher als Tom Wingfield

In der kleinen Wohnung der Wingfields hat sich derweil jeder auf seiner Position verschanzt: Die Mutter zerrt, drängt, bestimmt, lockt, lobt. Zunächst konzentriert sich der Abend auf die plappernde, kokette Amanda, die trotz Verbitterung den Laden am Laufen hält. Und wenn sie dafür am Telefon Zeitschriftenabos verkaufen muss. Anna Thalbach spielt diese Amanda mit immenser Energie, rauchiger Stimme und hier und da einem erholsamen Hang zum Komödiantischen.

Bald rückt der unglaublich intensive Leonard Scheicher, der schon in den Kinofilmen „Finsterworld“ und „Quellen des Lebens“ zu sehen war, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sein Tom Wingfield taumelt ununterbrochen zwischen Verzweiflung, Verantwortungsbewusstsein, Hass und Freiheitssehnsucht. Es ist eine Freude, dem jungen Darsteller zuzusehen, wie sich die widerstreitenden Gefühle in seiner Mimik spiegeln.

Nellie Thalbach spielt mit hochgezogenen Schultern und Rehblick

Die geballte Wut des Sohns entlädt sich in lauten Streitereien mit der dominanten Mutter. Kurz darauf folgt die zitternde, tränenreiche Versöhnung, die aber nur wieder zum Vorspiel für den nächsten emotionalen Ausbruch wird. Wir sehen hier einer extrem dysfunktionalen Familie zu, die – trotz aller Liebe – ihren selbstzerstörerischen Verhaltensmustern einfach nicht zu entkommen vermag. Niemand ist schuld, niemand taugt als Sündenbock. Die Umstände, sie sind halt so.

Zu der Menage à trois gehört außerdem die scheue Laura. Ihr hat der Autor nur wenig Text, dafür eine umso wichtigere Rolle im Familiengefüge zugedacht. Die bildhübsche Nellie Thalbach, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist, spielt sie mit hochgezogenen Schultern, langsamen Schritten und ängstlichen Rehaugen. Ihr Körper mit dem humpelnden Bein: ein Fremder. Sie selbst: eine Enttäuschung, eine fürchterliche Belastung für Mutter und Bruder. Thalbach zeigt die stumme Verzweiflung ihrer Figur mit solch zarter Hingabe, dass nie ganz klar wird, ob wirklich die arme Laura verrückt ist – oder nicht eher die Welt um sie herum.

Nur kurz keimt Hoffnung auf

Ezio Toffolutti hat passend dazu ein drehendes Bühnenbild geschaffen, in dem es keine Wände, sondern nur unzählige lange weiße Vorhänge gibt. Durch sie weht der Wind der Erinnerung. Sie bilden die traumwandlerische Kulisse des Kammerspiels. Nur wenn am Ende der vermeintliche Bräutigams-Kandidat zu Besuch kommt, bindet Mutter Amanda symbolisch die Vorhänge hoch und lässt Licht, Luft und Hoffnung herein.

Und dann passiert tatsächlich das Unglaubliche. Jim, der großmäulige Kollege von Tom, und die wortkarge Laura kommen sich näher. Jim studiert an der Abendschule Radiotechnik und Rhetorik. „Damit ich für die Zukunft bereit bin.“ Er macht der unbeholfenen jungen Frau Komplimente, ermutigt sie zu mehr Selbstbewusstsein. Zum Greifen nah erscheinen Erlösung und Happy End. Doch das Glück ist so flüchtig wie die Lichter der Diskokugel, die sich an der Decke dreht. Zurück bleiben drei verletzte Seelen: Eine keifende Mutter, die sich längst heiser geschrien hat. Ein türknallender Sohn, der wieder in die Welt der Fiktion flieht. Und ein Mädchen, das sich ganz lange ganz fest die Ohren zuhält.

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