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Kultur: Die glorreichen Achtzig

Who is Who der Kunstszene: Ein Sammelband über weltweit bedeutende Galerien sorgt für Furore

Wenn dieser Tage die Herbstsaison beginnt, eröffnen allein in Berlin über 60 Galerieausstellungen. Das Spektrum reicht von Shooting Stars wie Rafal Bujnowski in der Johnen Galerie und Dana Schutz bei Contemporary Fine Arts bis zu Kara Walker und Leonardo Drew in der Galerie Hetzler und Rainer Fetting bei Deschler. Die Vielfalt verdeutlicht, dass Galeristen die wichtigsten Mittler zwischen Künstlern und Sammlern sind, zwischen Atelier und Museum. Sie sind die Entdecker und bieten Versuchsfelder, auf denen sich Künstler erproben können und ihre Werke erstmals Öffentlichkeit und Kritik ausgesetzt sind. Mit Ausstellungen, Messebeteiligungen, Katalogen, Internetseiten und Editionen gehören Galerien zu den entscheidenden Multiplikatoren – viele haben in den vergangenen Jahrzehnten Kunstgeschichte geschrieben.

Jenen ist nun ein längst überfälliges Buch gewidmet. Der internationale Sammelband war bei Dumont lange angekündigt und aufgrund seiner Beschränkung auf weniger als 80 Galerien bereits im Vorfeld umstritten: „Insight Inside“, eine Galeriengeschichte von 1945 bis heute, ein 540-Seiten-Wälzer, ein opulent bebildertes Schwergewicht – das allerdings das komplexe Netzwerk Kunstmarkt auf eine Riege von wenigen Einzelkämpfern reduziert. Die 77 Porträts sind nach Dekaden geordnet und bieten eine rasante Reise von den Anfängen des heutigen Galeriesystems bis in die jüngste Gegenwart. Den Auftakt macht erwartungsgemäß Peggy Guggenheims 1938 gegründete Galerie „Art of This Century“. Mit Constantin Brancusi, Mark Rothko und Jackson Pollock vertrat sie nicht nur einige der wichtigsten Künstler des Jahrhunderts, sondern trug mit dem Prinzip, aus jeder Ausstellung ein Werk zu erwerben, eine Sammlung von Weltruhm zusammen.

Die Texte stellen solche individuellen Besonderheiten heraus und unterhalten gleichzeitig mit Anekdoten. So segelt man locker weiter mit den Flaggschiffen der Moderne, mit Ernst Beyeler und Betty Parsons, bei der Rothkos Bilder 1947 zwischen 200 und 1500 Dollar kosteten und trotzdem unverkauft blieben. Inwieweit Händler auch künstlerische Produktionen beeinflussen, verdeutlichen Beispiele wie der Pariser Galerist Aimé Maeght, der mit Matisse, Joan Miró, Alexander Calder und Wassily Kandinsky rund 12000 Editionen produzierte.

Das Buch dokumentiert, inwiefern erfolgreiche Galeristen Gespür für ihre Zeit und Mut zur Selbsterneuerung bewiesen haben. Als Minimal und Concept Art neue Vermittlungsformen erforderten, wurde in der legendären Amsterdamer Galerie Art & Project das verschickte Bulletin zum Kunstwerk selbst, auf dem Robert Barry 1969 ankündigte: „During the exhibition the gallery will be closed“. Neue Orte wurden für die Kunst entdeckt, als die Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer 1967 in einem unbenutzten Durchgang eröffnete, dessen Boden Carl Andre als erster Künstler noch streichen musste. Und die römische Galleria L’Attico siedelte 1969 in eine Tiefgarage um, in der Jannis Kounellis zum Auftakt zwölf lebende Pferde unterbrachte.

So informativ und vergnüglich die Lektüre auch ist, umfassend kann das Buch aufgrund seiner rigiden Selektion nicht sein. Es folgt viel mehr dem Trend, Bücher wie Ausstellungen zu kuratieren, eine Auswahl zu treffen, sie aber als kunsthistorisches Standardwerk zu verkaufen. Bücher, wie „Art at the Turn of the Millennium“ oder „Art Now“, die einen lexikalischen Überblick versprechen, aber – zumindest bei den zehn Prozent, die streitbar bleiben – subjektive Zusammenstellungen sind. So amüsant seitengroße Bilder des langhaarigen René Block oder von Judy Lybke im Bademantel auch sind, ein kleinerer Abdruck hätte genügt, wenn stattdessen Rüdiger Schöttle, Sadie Coles oder Rudolf Kicken aufgenommen worden wären.

Was für die Nachkriegsjahrzehnte noch funktioniert, weil der historische Abstand die Spreu vom Weizen bereits getrennt hat, bleibt zweifelhaft, je näher das Buch an die Gegenwart rückt. Die Zahl von weltweit derzeit 9000 Galerien macht diese Unverhältnismäßigkeit deutlich, mehr noch die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens. Wie hat Konrad Fischer einmal gesagt? „Man muss einseitig sein, damit es weitergeht.“

Mit Kunst werden seit der Antike Geschäfte gemacht. Doch der Kunsthandel professionalisierte sich erst langsam: im 19. Jahrhundert mit Ausnahmeerscheinungen wie dem Franzosen Paul Durand-Ruel und, seit 1906, dem legendären Daniel -Henry Kahnweiler , der Picasso und Braque vertrat.

Ein internationales Kunstsystem im heutigen Sinne entwickelte sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts mit Peggy Guggenheim , Betty Parsons oder der Galerie Der Spiegel in Köln.

In den sechziger Jahren sind Galerien Vorreiter für neue Kunstformen, etwa für die Pop Art, deren Siegeszug ohne Leo Castelli nicht denkbar wäre. Andere Galerien bieten Plattformen für Happenings und Performances wie die Galerie René Block in Berlin und New York .

Uta Grosenick,

Raimar Stange (Hg.) : „Insight-Inside. Galerien 1945 bis heute“.

DuMont Verlag, Köln 2005. 540 S. (ca. 500 Abb.), 64 €

Katrin Wittneven

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