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Kultur: Die glorreichen Sieben

Mit Soloshows von Kusmirowski, Mercier und Schütte beginnt die Berliner Galeriensaison

Pünktlich zum Saisonstart eröffnete vergangene Woche nahe der Jannowitzbrücke die Galerie Johnen aus Köln eine Dependance in der Schillingstraße 31 und stieß zum Umfeld der sechs Galerien hinzu, die dort seit 2001 residieren. Fast darf man nun von den glorreichen Sieben sprechen: Einzelgänger alle; gemeinsam stark. Die Galerien Mehdi Chouakri und Carlier Gebauer hatten Sportsgeist genug, den Neuzugang sogleich in ihre Mitte zu nehmen und gemeinsam drei starke Soloausstellungen zu eröffnen.

Jörg Johnen bringt einen Kräftezuwachs in die Stadt, der nur mit den Umzügen Max Hetzlers 1994 und Rudolf Kickens 2000 verglichen werden kann. Wie die beiden Ex-Kölner blickt Johnen auf eine erfolgreiche Vergangenheit zurück und hat wie Hetzler die Gegenwartskunst marktprägend beeinflusst. Mit seinem Partner Rüdiger Schöttle behält er das Hauptquartier Johnen & Schöttle aber in Köln. Dort konnte man seit den Achtzigerjahren die steilen Karrieren von Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Ruff mitverfolgen, hier trat Stephan Balkenhol seine Verteidigung der Holzskulptur an, und Jeff Wall öffnete neue Wege der Fotografie. Inzwischen zeigt die Galerie auch den Maler Wilhelm Sasnal sowie die Videopoeten David Claerbout und Anri Sala. In Berlin spricht man gerne von Champions-League. Johnen wäre ein Maßstab, der genügend Fallhöhe bietet.

Mit der Auftaktausstellung des 1973 geborenen Polen Robert Kusmirowski präsentiert Johnen nun ein starkes Stück. Man weiß zunächst nicht, ob es sich um Extremkitsch oder um ein Revival schwarzer Romantik handelt. Das hoch artifizielle Finale konzeptueller Übersteigerung ist ein bis in die Erdkrümel nachgebauter christlicher Friedhof aus Gips, Holz, Styropor, in dem nichts authentischer ist als das Künstliche (45000 Euro).

Marcel Proust hat in jungen Jahren eine Stilübung verfasst, indem er eine kleine Gerichtsaffäre in den Schreibweisen von Balzac, Flaubert, Michelet und anderen darstellte. Er nannte seine Imitationen „Pastiche“. Das macht Kusmirowski auch, wenn er einen Friedhof nachbaut oder ein Fortbewegungsmittel in der Art eines Fahrrads in Holz schnitzt. Spötter halten solche Imitate für Ikebana, Kurzsichtige für Readymades. Hellsichtige erkennen, dass ein handgemachtes Fake kein Readymade sein kann. Bald wird Kusmirowski von Warschau nach Paris wandern – in der Art wie Brancusi von Bukarest nach Paris marschierte. Der Künstler geht von Vorbild zu Vorbild und präsentiert Manieren des Stils. Seine Kunst besteht in der perfekten Beherrschung von Rollenspielen: das Uneigentliche par excellence (bis 9. Oktober).

Das virtuose Spiel mit Formen mit deutlich ausgenüchtertem Pathos hat dem 1970 geborenen Mathieu Mercier letztes Jahr den Marcel-Duchamp-Preis und eine große Einzelausstellung im Centre Pompidou eingebracht. Parallel zur Schau bei Mehdi Chouakri (Holzmarktstraße 15–18; bis 16. Oktober) zeigt auch das Künstlerhaus Bethanien ein Solo (Mariannenplatz 2; bis 26. September). Mercier arbeitet mit standardisierten Werkstoffen, baut in Holzpaletten Spiegel ein, setzt Regalreihen hintereinander und vertraut auf die formauflösende Kraft der Wiederholung klarer Setzungen in Spiegeln und Licht: Impressionismus mal Ironie und Minimalimus ist gleich Mathieu Mercier (290 Euro bis 12800 Euro).

Über den Titan unter den Künstlern der mittleren Generation Thomas Schütte ist bereits so viel geschrieben worden, dass der Name des 1954 geborenen Alleskönners genügt, um Scharen von Besuchern mit Skulpturen, Modellen und Grafik in Erstaunen zu versetzen – wie momentan in der Kunsthalle Hamburg und dem K21 in Düsseldorf. Bei Carlier Gebauer (Holzmarktstraße 15–18; bis 16. Oktober) zeigt er sich im Gegensatz zu Kusmirowski und Mercier als großer Erfinder. Kein Künstler seiner Generation treibt Material (Keramik, Metall) und Verfahren in solche Widersprüche, die plötzlich wie die Sonne aufgehen. Er zeigt Drucke, die Fachleute für unmöglich hielten, bis der Extremist Schütte sie gemacht hat und sagt: geht doch. (20000 Euro bis 200000 Euro). Das Urteil hängt bei Mehdi Chouakri und stammt von Sylvie Fleury: Yes to all (40000 Euro).

Peter Herbstreuth

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