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Kultur: Die Götter der anderen

Kunst ist im Krieg geschützt – durch Verträge, die Amerika nicht ratifiziert hat

Als Zeugen waren wir ohnmächtig: Die Fernsehbilder aus Bagdad brachten uns die Plünderungen von Kunstschätzen im Irakischen Nationalmuseum direkt ins Haus. Alliierte Soldaten waren nicht zu sehen, und wenn doch, so standen sie untätig herum, entgegen ihrer kriegsrechtlichen Pflicht.

Eine solche Pflicht besteht in der Tat, seit etwa einem Jahrhundert. Zuvor war Krieg ein nahezu rechtsloser Zustand. Plünderungen gehörten zu den Privilegien der Sieger und wurden zur Besoldung der Soldaten herangezogen; lediglich vor Tempeln und Kirchen scheute man zurück. Grund dafür war nicht der künstlerische Wert der Gebäude, sondern die Angst, den Zorn der fremden Götter heraufzubeschwören. Völkerrechtlich gefestigt wurde das Wegnahme- und Plünderungsverbot von Kulturgütern auf dem Wiener Kongress 1815. Napoleon, zuvor auf mehrjährigem Raubzug durch Europa unterwegs, wurde verpflichtet, erbeutete Kunstwerke zurückzugeben. Dem Wiener Kongress hat Berlin es auch zu verdanken, dass die Quadriga wieder das Brandenburger Tor krönt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es schließlich zur bislang größten Restitution von Kulturgütern.

Nach den Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907, die erstmals ein vertragliches Plünderungsverbot vorsahen, wurde mit der Haager Konvention erst 1954 ein internationaler Vertrag zum Schutz von Kulturgütern im Krieg geschlossen. Darin wird eine Besatzungsmacht unter anderem verpflichtet, Diebstahl, Plünderung oder sonstige Wegnahmen und jede Art von Vandalismus gegen Kulturgüter zu verbieten, zu verhindern oder zu einem Ende zu bringen. Obwohl die USA und Großbritannien diese Konvention bislang nicht unterzeichnet haben, sind die Alliierten verpflichtet, irakische Plünderer von ihrem Tun abzuhalten. Denn nach geltendem Gewohnheitsrecht ist dies Aufgabe der Besatzungstruppen. Dass Plünderungen durch die Besatzungsmacht selbst untersagt sind, versteht sich von selbst. Als oberster Ordnungshüter müssen die Besatzer jedoch mit Unterstützung der örtlichen Behörden auch die Bevölkerung im Zaume halten. Das Zuschauen alliierter Soldaten bei den Plünderungen von Museen verstößt daher gegen internationales Kriegsrecht.

Persönliche Folgen wird das für die Soldaten wohl nicht haben: Nur aktive Plünderung gilt als Kriegsverbrechen. Zur Verurteilung wegen solcher Plünderungen kam es bislang ebenfalls selten. Eine Ausnahme ist Alfred Rosenberg, Leiter des Einsatzstabes, der die Kunstplünderungen der Nazis organisierte: Er wurde 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg zum Tode verurteilt. Und vor dem Jugoslawientribunal sind derzeit Radovan Karadzic und Ratko Mladic unter anderem wegen der Zerstörung von Kirchen und Moscheen angeklagt, nicht jedoch wegen Plünderungen.

Am Montag hat US-Außenminister Colin Powell angekündigt, dass sich die USA um die Sicherung und Wiederbeschaffung der geplünderten Kulturschätze kümmern wollen – offenbar infolge der weltweiten Proteste gegen die Versäumnisse der Alliierten. Sie hätten den Truppen – wie dies in vielen Kriegsregionen zuvor üblich war – besser von vornherein Kunstschutzoffiziere beiordnen oder ihnen wenigstens die Grundregeln des Kulturgüterschutzrechts nahe bringen sollen. Mit wenig Aufwand hätte so der Verlust vieler Schätze verhindert werden können.

Aufgabe der internationalen Gemeinschaft wird es sein, für die Rückkehr der Kunstschätze ihr Möglichstes zu tun. Irakische Kulturgüter können vom Irak bei den unrechtmäßigen Besitzern zurückverlangt werden. Haben die Kulturgüter das Land aber erst einmal verlassen, ist es meist zu spät, da sie in privaten Sammlungen verschwinden. Selbst wenn die Schätze offen in Museen ausgestellt werden, kann der Besitznachweis durch das Herkunftsland oft nicht geführt werden. Deshalb verpflichtet das Protokoll zur Haager Konvention jede Besatzungsmacht zur Errichtung einer effektiven Ausfuhrkontrolle. Gelangen die Kulturgüter trotzdem außer Landes, sind die Staaten, in die sie importiert werden, verpflichtet, sie zu beschlagnahmen und zurückzugeben. Auch die Bundesrepublik ist als Vertragsstaat dazu angehalten. Die Herausgabepflicht gilt übrigens auch für gutgläubige Käufer, die jedoch eine Entschädigung vom Besatzungsstaat fordern können. Eine Regelung, die beim Irak-Krieg jedoch nicht greift: Die USA haben auch dieses Protokoll nicht ratifiziert, und ein korrespondierendes Gewohnheitsrecht existiert (noch) nicht.

Angesichts dieser internationalen Bemühungen, den Handel mit Kunstschätzen aus besetzten Gebieten einzudämmen, stimmen die Aktivitäten des „American Council for Cultural Policy“ (ACCP) doch bedenklich: Die neu gegründete amerikanische Interessenvereinigung von Kuratoren, Kunsthändlern und Anwälten strebt eine Liberalisierung des internationalen Kunsthandels an. Sie bemüht sich um eine Lockerung der staatlichen Ein- und Ausfuhrbestimmungen und versucht, die US–Regierung dazu zu bewegen, die strengen irakischen Gesetze entsprechend zu ändern. Gegen diese Bemühungen laufen Archäologen und Museumsfachleute aus aller Welt Sturm. Sie fürchten, dass die Artefakte durch die Ausfuhr aus ihrer angestammten Umgebung herausgerissen und archäologisch wertvolle Spuren verwischt werden. Britische Kulturinstitutionen haben am Montag in einem offenen Brief an den „Guardian“ die britische Regierung deshalb aufgefordert, der Haager Konvention beizutreten.

Der Vorwurf, die Plünderungen seien von den Alliierten gewollt gewesen, ist allerdings abwegig. Wäre dem so, stünden die Amerikaner auf einer Stufe mit Napoleon und Hitler. Dessen Schergen verurteilten sie vor 50 Jahren vielmehr wegen Plünderungen als einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Experte für Rückgabeansprüche bei Kunstwerken.

Christoff Jenschke

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