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Kultur: Die Götter müssen beglückt sein

Genugtuung für Scorsese, ein Hauch von Gospel und Grünen-Parteitag: Die 79. Oscar-Gala zelebriert die Harmonie

Reden wir ausnahmsweise zunächst von den Verlierern. Der größte Verlierer dieser 79. Oscar-Nacht ist der Mexikaner Alejandro Gonzales Iñárritu mit seinem siebenmal nominierten „Babel“. Für seine zwischen drei Kontinenten oszillierende Globalisierungsparabel ist nur ein Preis für die beste Filmmusik drin. Hallo, erinnert sich noch jemand an die Filmmusik zu „Babel“? Eben. Da muss es ein echtes Beben gegeben haben zwischen den frohgemuten „Babel“-Nominierungen vor einem Monat und der Abstimmung – so heftig, dass der unter den fünf Top-Titeln meistnominierte Film nun als Schlusslicht durchs Ziel schleicht. Natürlich ist das auch eine Schlappe für die eingangs von Moderatorin Ellen DeGeneres forsch beschworenen „internationalsten Oscars aller Zeiten“. Erste Lektion: Der Oscar ist US-amerikanisch und sonst erst mal ganz lange gar nichts.

Zweiter Verlierer: „Dreamgirls“. Gut, das runde Stimmwunder Jennifer Hudson holte den Nebendarstellerinnen-Oscar im Vorbeitirilieren, und für die Tonmischung sprang ein weiteres Preislein raus. Zwar nicht als bester Film nominiert, aber satte acht Mal hatte das durchweg schwarz besetzte Musical in den Listen gestanden, und nun das. Sogar die drei Songs, allesamt handlungs- und tränentreibende Hammer-Nummern mitten in der „Dreamgirls“-Handlung, mussten sich einem faden Abspanntitel von Melissa Etheridge geschlagen geben. Wenn nicht Forest Whitaker noch der Favoriten-Oscar für den bulligen, schrecklichen und auch augenblicksweise bewegenden Parforceritt in „The Last King of Scotland“ beschieden gewesen wäre, hätte Ellen DeGeneres mit ihrer These „Wenn es keine Schwarzen, Juden und Schwule gäbe, gäbe es keine Oscars“ noch einmal schief gelegen. Zweite Lektion: Der Oscar gewährt zwar schwarzen Schauspielern gelegentlich ein bisschen Ruhm, vor allem wenn sie sich artig beim lieben Gott bedanken. Aber ansonsten ist er immer noch ziemlich weiß.

Dritter Verlierer: Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“. Der unlängst hierzulande angelaufene und in der Summe seiner Qualitäten herausragende Film dieses Oscar-Jahrgangs legte zwar mit den Preisen für Ausstattung, Kamera und Maske furios los, blieb dann aber stecken und musste sich schließlich in Sachen bester Auslandsfilm überraschend einem anderweitig kraftstrotzenden Konkurrenten aus Deutschland geschlagen geben, Dritte Lektion: Im Zweifel triumphiert bei den Oscars das zumindest moralisch erhebende Happyend über den bitteren, offenen Schluss, die rührungsorientierte Story über die überschäumende Fantasie, die Akribie über das Genie.

Nun aber zu den Siegern. „Der Kleine und der Lange“ sind laut der Deutschen Presseagentur die Gewinner dieses Oscar-Abends, und dem ist aus deutscher wie aus weltfilmbegeisterter Sicht keineswegs zu widersprechen. Wobei der 1,63 Meter kleine Martin Scorsese den selbstbewussten, 2,05 Meter großen Newcomer Florian Henckel von Donnersmarck einstweilen entspannt überragt – nicht nur im Triumph jener Nacht in Los Angeles. Schönster Augenblick: Im ansonsten eher gepflegt amüsierten, zügig durch das Ritual geführten vieltausendköpfigen Auditorium brandete mit ausgelassenen Jubel-Pfiffen plötzlich eine Art Rockkonzertstimmung auf, als der bisher fünfmal übergangene Scorsese endlich seinen Regie-Oscar holte – und kurz darauf die Top-Trophäe noch dazu.

Ein Ruck muss in den letzten Wochen durch die 5830 Mitglieder umfassende Academy of Motion Picture Arts and Sciences gegangen sein – und vor allem die Angst vor der massiven Blamage, Scorsese erneut von großen Ehren fernzuhalten. Vielleicht musste der Meisterregisseur, dessen „Departed“ bei weitem nicht sein meisterlichstes Werk ist, mit seinen 64 Jahren erst das Durchschnittsalter der Academy-Mitglieder leicht überschreiten, um unter den Ihren endlich in Glanz und Würden aufgenommen zu werden. Stehende Ovationen gab’s, wie sie sonst nur den fürs Lebenswerk Geehrten zuteil werden, und Scorsese selber bemühte sich um Fassung, indem er sanft (selbst-)ironisch darum bat, den Umschlag noch mal auf seine innewohnende Botschaft nachzuchecken. Nur sein an diesem Abend hochtourig derangiert wirkender Hauptdarsteller Jack Nicholson spielte – mit Glänzeglatze, Grobgrimassen und Stutzersonnenbrille – die optisch schrille Begleitmusik dazu.

Der zweite – und womöglich nachhaltigere – Sieger des Abends heißt Al Gore. Oder auch: das gute Gewissen, diesmal nicht kontra Krieg, sondern pro Klimaschutz. Oder auch: die Sehnsucht nach dem besseren Amerika. Schon bei der expliziten Begrüßung durch die Moderatorin rauschte Applaus auf, und als sich der „coolste Nicht-Präsident Amerikas“, wie ihn die „Washington Post“ tags zuvor genannt hatte, zusammen mit dem großartig aufgelegten Leonardo DiCaprio zu einem hübschen Sketch hinreißen ließ, gab es kein Halten mehr. Schade nur, dass die streng die Redezeit begrenzende Musik just einsetzte, als der Präsident der Herzen in einer Erklärung an „my fellow Americans“ offenbar live seine neue Kandidatur proklamieren wollte: So geht’s, wenn das Entertainment der hohen Politik dazwischenkommt!

Insgesamt aber wehte reichlich Harmonie-Sehnsucht durch diese Oscar-Nacht, eine sehr amerikanische Mischung aus Gospel-Gottesdienst und Grünen-Parteitag. Das erklärt auch, warum die schwarzen Schauspieler fast demütig das schnoddrige Ellen-DeGeneres-Diktum erfüllten, ein Hinweis auf die Herkunft aus der Bronx mache sich immer gut. Forest Whitaker beschwor seine Kindheit im Autokino auf dem elterlichen Rücksitz und die Jugend in South Central L. A., um alsbald den gemeinsamen Glauben an eine bessere und vor allem nächste Welt zu predigen; und Jennifer Hudson erinnerte an ihre kreativ so inspirierende Oma, der leider keine Sangeskarriere zuteil wurde, und schloss mit „Gott segne euch alle!“. Sollten in den Zeiten von Condoleezza Rice und Barack Obama alle Anerkennungsschlachten geschlagen sein, oder werden sie derzeit nur rhetorisch geschickter, also Bush-bigott, geführt?

In Sachen Öko wiederum kommen die Amerikaner spät, aber amerikanisch gewaltig. Der Oscar sei, so befanden der für seine Klimaschutz-Doku „Eine unbequeme Wahrheit“ ausgezeichnete Al Gore und Leonardo DiCaprio unisono, erstmals „grün“. Zur Unterstützung dieser flotten These liefen ökologisch mahnende Schriftbänder („Let’s pray that people will find the strength to change“) im Hintergrund ökologisch korrekter Songs, und Melissa Etheridge, die mal eben die „Dreamgirls“-Konkurrenz ausgeknipst hatte, durfte mit ihrem moraltriefenden Song noch eins draufsetzen. Die bezeichnendsten Zeilen von „I Need to Wake Up“? „Now I am throwing off the carelessness of youth / To listen to an inconvenient truth“. Sollte das die Message der reifen Oscar-Herrschaften sein? Darauf dringend irgendwas Giftiges, ausnahmsweise.

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