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Kultur: Die Gräfin

Sie war immer die erste auf der Probebühne, egal ob in Köln, wo ich ihr als Regieassistent bei Harry Kupfers "Jenufa"-Produktion zum ersten Mal begegnet bin, oder in Berlin seit Beginn meiner Intendanz an der Komischen Oper.Anny Schlemm ist eine Ausnahmekünstlerin, ebenso in ihrer Arbeitsdisziplin wie in ihrer Bühnenpräsenz, und das lebende Beispiel dafür, daß eine Ausstrahlung nicht nur gottgegeben ist, sondern Ergebnis harter Arbeit.

Sie war immer die erste auf der Probebühne, egal ob in Köln, wo ich ihr als Regieassistent bei Harry Kupfers "Jenufa"-Produktion zum ersten Mal begegnet bin, oder in Berlin seit Beginn meiner Intendanz an der Komischen Oper.Anny Schlemm ist eine Ausnahmekünstlerin, ebenso in ihrer Arbeitsdisziplin wie in ihrer Bühnenpräsenz, und das lebende Beispiel dafür, daß eine Ausstrahlung nicht nur gottgegeben ist, sondern Ergebnis harter Arbeit.Sie war schon Legende aus den großen Inszenierungen Walter Felsensteins, als ich sie in Köln persönlich und auf der Bühne kennenlernte.Um so glücklicher war ich, als es zusammen mit Harry Kupfer gelang, Anny Schlemm für die Amme in Goldschmidts "Der gewaltige Hahnrei" im September 1994 an die Komische Oper zurückzuholen.Es folgten die Babaricha in Rimski-Korsakows "Das Märchen vom Zaren Saltan" sowie seit Mai 1997 die Gräfin in der Harry-Kupfer-Inszenierung "Pique Dame" und erst kürzlich die Partie der Öffentlichen Meinung in "Orpheus in der Unterwelt", so daß wir heute wieder mit Stolz sagen können: Anny Schlemm gehört zur Komischen Oper.

Anny Schlemms Laufbahn liest sich im nachhinein wie eine Wunschkarriere: 1946 debütierte sie als Nanette in "Der Wildschütz" am Landestheater Halle, hat jetzt also 53 Jahre Bühnenerfahrung, ein Zeitraum, von dem viele Sänger nur träumen können.Im September 1949 stand sie zum ersten Mal auf der Bühne der Komischen Oper, also haben wir im Herbst dieses Jahres den nächsten Anlaß zum Feiern.Ihre Entwicklung ging von Soubrettenpartien wie Despina über Mezzosoprane wie Cherubino bis zu den großen lyrischen Sopranrollen Agathe, Desdemona oder Micaela.Aber auch das komische Fach machte sie sich zu eigen.Von 1963 an gab Anny Schlemm über zwei Jahrzehnte in 275 Aufführungen die Boulotte in der legendären Felsenstein-Inszenierung von Offenbachs "Ritter Blaubart".135 Partien hat sie auf der Bühne gesungen, die Zahl ihrer Vorstellungen ist ungezählt: ein reiches Opernleben von Bayreuth bis nach Paris, Rom und San Francisco.Doch es zählen nicht nur Zahlen.Bei anderen Sängern ihres Alters würde man sagen, daß sie "immer noch" Hervorragendes leisten.Diese Form der höflichen Einschränkung verbietet sich bei Anny Schlemm von selbst.Wer sie erlebt hat als "Öffentliche Meinung", konnte sehen, wie jedes Wort und jeder Auftritt sitzt, wie sie aus einer Rolle eine Persönlichkeit gestaltet.Anny Schlemm, Publikumsliebling an der Komischen Oper, Vorbild für den Nachwuchs, ein Glücksfall für jeden Intendaten, die besten Wünsche zum Siebzigsten.

Der Autor ist Intendant der Komischen Oper Berlin.

ALBERT KOST

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