zum Hauptinhalt

Kultur: Die Gralsverhüter

Erklär mir Europa: Ron Howards Verfilmung des Dan-Brown-Thrillers erzählt vom Schrecken der Alten Welt

Europa ist eine ganz schön unheimliche Gegend. Dieses viele tote Gemäuer. Fratzen an verwitterten Kirchenfassaden, tote Gesichter auf Sarkophagen, Verliese voller zerfledderter Schriften, Geheimbünde, Geheimdossiers, Geheimbotschaften. Wohin man auch sieht, Geschichte blickt einen an. Ritter, Könige, Mönche, Päpste – lauter prachtvoll gewandete, gemeißelte, gemalte, versteinerte Helden der Historie. Horror unter jedem Häufchen Staub. Alles so geheimnisvoll hier.

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, erklärt der Harvard-Symbologe Robert Langdon in seinem Gastvortrag in Paris. Tom Hanks gibt mit Langhaarfrisur überm Anzug den zerknittert-melancholischen Wissenschaftler, der zwecks Bilderdeutung gerade zur Powerpoint-Präsentation ansetzt – um zu einem anderen Tatort gerufen zu werden. Im Louvre, in der Grande Galerie, liegt eine Leiche. Klar, an diesem Jahrtausende alten Tatort Europa liegen so manche Leichen im Keller – oder unter anderen hohen Gewölben.

Erklär mir Europa. Ein Film sagt mehr als tausend Bücher. Ron Howards „Sakrileg“-Adaption hat auch etwas von einem Powerpoint-Vortrag. Damit die Lektion nicht so dröge wird, gibt’s illustre Schauplätze satt. Besuchen Sie Europa in 150 Minuten: Die Pauschalreise schließt neben dem Louvre auch Chateau Villette ein, Castel Gandolfo, Temple Church, Westminster Abbey und die Rosslyn Chapel. Dazwischen wird Action eingestreuselt, in homöopathischen Dosen.

Kein Sakrileg, nirgends. Aus Rücksicht auf die 50 Millionen Hobby-Regisseure, sprich: Leser des „Da Vinci Code“, hält sich der Film an die Schrift und illustriert die Vorlage: sorgfältig, gemächlich, buchstabengetreu, mit geringfügigen Abweichungen. Vergessen „Der Name der Rose“, vergessen „Indiana Jones“: Menschen sitzen im Fluchtfahrzeug und erklären einander die Kirchengeschichte und die Sache mit dem Heiligen Gral. Tom Hanks erläutert, Audrey Tautou als Polizei-Kryptografin Sophie Neveu macht große, wunderschöne Augen zu den kurzen Gruselrückblenden (stürzende Statuen, römischer Popanz, ekstatisch tanzende Heiden). Man hat schon rasantere Verfolgungen gesehen als bei dieser Schnitzeljagd; allerdings dürfte es sich bei Tautous Fluchtmanöver vor der Pariser Polizei um den ersten flinken Smart-Einsatz der Filmgeschichte handeln. Die Alte Welt: ein Abenteuerspielplatz mit erstaunlich kleinen Autos.

Was ist nicht alles geschrieben worden über Dan Browns Megaseller: über Verschwörungsfantasien und die Macht der Kirche, die Bibel und die gnostischen Schriften, Jesus und seine Gattin Maria Magdalena, die Fehler des Autors bei der Deutung der Gemälde von Leonardo da Vinci, sein zusammengeschustertes Populärwissen über Gralsmythen und Templerorden, über Fakt und Fiktion, Plagiat und Protest. In Indien soll der Film verboten werden, in Thailand wird er nun doch nicht zensiert, die chinesischen Katholiken schimpfen heftig auf ihn, auf den dänischen Färöer-Inseln wird er überhaupt nicht gezeigt (es gibt dort zwei Kinos), und der Vatikan rät vom Kinobesuch ab.

Während deutsche Bischöfe zur Gelassenheit raten und die US-Pastorin Felisky Whitehead sich freut, dass es nun „endlich völlig in Ordnung ist, auf Cocktailpartys über Jesus zu plaudern“, startete Opus Dei wenige Stunden vor der Weltpremiere in Cannes nun doch noch eine Kampagne gegen das vermeintliche Machwerk. Aber erstens ist Jean Reno als Capitaine Fache und Opus-Dei-Mitglied am Ende ein superintegrer Ermittler, wenn er Sir Leigh Teabing (Ian McKellen) eiskalt abserviert. Zweitens rührt Paul Bettany als tapfer mordender Opus-Dei-Mönch Silas einen mehr als das brav agierende Heldenpaar. Der Albino mit dem glasig-gespenstischen Blick und seinem von Bußgürtel und Geißel blutigwunden Leib durchlebt ein wahres Martyrium. Drittens sind die wenigen „schlimmen Stellen“ aus Browns Thriller derart abgemildert, dass man meinen könnte, der Papst selbst habe Regie geführt. Die von Jesus schwangere Maria Magdalena ist zwei Sekunden zu sehen, das Sexritual der Prieuré de Sion deutlich kürzer. Die Langversion hat übrigens Stanley Kubrick inszeniert: in „Eyes Wide Shut“.

Beim Sex trauen sich die Amerikaner nicht mal, ihn als europäische Libertinage zu zeigen. Der transatlantischen Liaison von Audrey Tautou und Tom Hanks wird nur eine züchtige Umarmung gegönnt und ein Kuss auf die Stirn – nicht mal die Aussicht auf eine Lovestory. Das vielbeschworene göttlich Weibliche darf lediglich im hübschen Gesicht der Französin aufscheinen. Dem irdisch Weiblichen (das soll ja auch ziemlich aufregend sein) bleibt die holde Amelie-Audrey erst recht abhold.

Hollywood ist die Traumfabrik der gottesfürchtigen Vereinigten Staaten, deren Gründerväter den Geheimbünden ebenfalls zugeneigt gewesen sein sollen: den Freimaurern. Dieses Hollywood blickt im „Da Vinci Code“ mit Faszination und Schrecken, Neid und Abscheu auf das okkulte, obskure alte Europa: seine kriegerische Historie, seine große Kultur, seine Freizügigkeit: von der Inquisition über da Vincis „Abendmahl“ bis zu den Huren und (im Film hinzugefügten) Junkies im Bois de Bologne. Eine Art Exorzismus: düstere Szenen, Blaulichtgewitter, dräuender Soundtrack (Hans Zimmer).

Wir sind die Schutzmänner, die Hüter der Tradition, sagt Tom Hanks und versöhnt am Ende die weltweit erregten Gemüter. What matters is what you believe. Es kommt darauf an, was man glaubt. Also alles doch nicht so wichtig? Die Religion nur ein Rätselspiel mit Codes, Puzzles und Anagrammen? Eigentlich haben die Kino- und die Katholikengemeinde etwas anderes gemeinsam: Dass sie vor allem glauben, was sie sehen.

Humor? Doch, einmal. Als Sophie die Glaubensprobe aufs Exempel macht, den Fuß kurz aufs Wasser setzt und auf den Jesus-Nachfahrinnen-Gang über dasselbe dann doch verzichtet. Lieber wolle sie mal die Sache mit dem Wein ausprobieren. Soviel Blasphemie darf sein.

Oscar-Preisträger Ron Howard („Apollo 13“, A Beautiful Mind ) führte Regie bei der Kino-

Adaption von Dan Browns Verschwörungsthriller „The Da Vinci Code – Sakrileg“. Das Drehbuch des 152-Minuten-Scope-Films schrieb Akiva Goldsman. In den Hauptrollen: Tom Hanks (Robert Langdon), Audrey Tautou (Sophie Neveu),

Ian McKellen (Leigh Teabing), Paul Bettany (Silas), Jean Reno (Bezu Fache), Alfred

Molina (Bischof Aringarosa) und Jürgen

Prochnow (Vernet).

In Berlin läuft „Sakrileg“ ab heute in 33 Kinos .

In der deutschen Synchronfassung spricht Audrey Tautou mit bezauberndem französischem Akzent. OmU im Odeon, OV im Cinestar Sony-Center.

Zur Startseite