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Kultur: Die Grenzen der russischen Gastfreundschaft

Dass Schriftsteller aus aller Welt zum Thema Tschetschenien eine andere Meinung vertreten als der Kreml, wird in Moskaus nach alter Manier totgeschwiegen.Ulrich Heyden Dass der in Russland populäre Günter Grass auf dem Moskauer PEN-Kongress zum Ende des "Krieges gegen das tschetschenische Volk" aufgerufen hatte, wurde in der Hauptnachrichtensendung des ersten russischen Fernsehkanals, "Wremja", am Dienstag Abend verschwiegen.

Dass Schriftsteller aus aller Welt zum Thema Tschetschenien eine andere Meinung vertreten als der Kreml, wird in Moskaus nach alter Manier totgeschwiegen.Ulrich Heyden

Dass der in Russland populäre Günter Grass auf dem Moskauer PEN-Kongress zum Ende des "Krieges gegen das tschetschenische Volk" aufgerufen hatte, wurde in der Hauptnachrichtensendung des ersten russischen Fernsehkanals, "Wremja", am Dienstag Abend verschwiegen.

Die Methode ist aus Sowjetzeiten bekannt. Was man nicht mehr verdrehen kann, wird weggelassen. Dass Schriftsteller aus aller Welt zum Thema Tschetschenien eine andere Meinung vertreten als der Kreml, verschweigt man lieber. Schriftsteller genießen in Russland immer noch hohes Ansehen und der Kreml schmückt sich gerne mit angesehenen Intellektuellen und ausländischen Gästen. Doch der diesjährige PEN-Kongress kommt den Kreml-Oberen ganz und gar ungelegen. Schon vor Kongressbeginn hatte die führende intellektuelle Zeitung Moskaus, die "Nesawisimaja Gaseta", ihre Leser auf das Ereignis eingestimmt. Der PEN sei bekanntlich keine staatliche Organisation, müsse sich sein Budget demnach "erarbeiten". Die Zeitung teilte dem Leser auch mit, womit sich der Kongress sein Budget verdient: Mit der Verurteilung des angeblich barbarischen Tschetschenienkrieges.

In seiner gestrigen Ausgabe berichtet das Blatt über die Eröffnung des Kongresses. Kein Wort erfährt der Leser jedoch darüber, was Günter Grass gesagt hat. Stattdessen ist der Bericht voll von Seitenhieben gegen eingebildete Schriftsteller, schlechte Übersetzer und überzogene politische Positionen. Auch das, wie die "Nasawisimaja Gaseta", zum Beresowskij-Imperium gehörende Intelligenzblatt "Kommersant" verlor kein Sterbenswort über die Rede von Günter Grass. Von dem Schriftstellerkongress könne man nichts weiter erwarten als "lange Sitzereien mit Besäufnissen und den üblichen Verbrüderungen". Nur der Kreml-kritische private Fernsehkanal NTW, dessen Verwaltungshaus vor zwei Wochen von maskierten Sicherheitskräften durchsucht worden war, scherte wieder aus. Der Sender brachte eine zentrale Interviewpassage von Grass zum Tschetschenienkrieg.

Erstaunlich auch das Verhalten des Moskauer Bürgermeisters, Jurij Luschkow. Der redegewandte Natschalnik des Fürstentums Moskau, der sonst bei jeder Einweihung einer neuen Straße dabei ist, zeigte der Eröffnung des Schriftstellerkongresses die kalte Schulter. Gegen Abend erfuhren die Gäste aus aller Welt dann durch schriftliche Aushänge, der Bürgermeister habe den für den Abend geplanten Empfang abgesagt.

Doch nicht nur Moskaus Stadtväter, auch die Vertreter des Kreml mieden den Kongress, ein in der Geschichte der PEN einmaliger Vorgang. Die internationale Organisation, die sich für den Schutz des freien Wortes einsetzt, ist eben eine Organisation westlichen Ursprungs. Der Ableger in Russland mit seinen 200 Mitgliedern, ist noch vergleichsweise schwach. Der überwiegende Teil der schreibenden Zunft in Russland gehört diversen anderen Schriftstellervereinigungen an. Das Spektrum reicht von demokratisch bis stramm nationalistisch.

Trotz des kühlen Empfangs in Moskau ist der stellvertretende Chef des russichen PEN, Arkadi Waksberg, nicht mutlos. Nach Meinung des Schriftstellers ist es gar nicht sicher, ob der überwiegende Teil der russischen Intelligenz den Kreml bei seinem Kriegskurs tatsächlich unterstützt.

Ulrich Heyden

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