zum Hauptinhalt

Kultur: Die Grenzen der Wunder

Was hat ein polnischer Dorfschmied mit der Erfindung der Kinoapparatur zu tun? Sehr viel, erfährt man aus Jan Jakub Kolskis jüngster Filmdichtung "Die Geschichte des Kinos in Popielawy", die im Panorama-Programm der jüngsten Berlinale viel Beachtung fand und nun eine fünf Werke umfassende Kolski-Retrospektive im Polnischen Kulturinstitut eröffnet.

Was hat ein polnischer Dorfschmied mit der Erfindung der Kinoapparatur zu tun? Sehr viel, erfährt man aus Jan Jakub Kolskis jüngster Filmdichtung "Die Geschichte des Kinos in Popielawy", die im Panorama-Programm der jüngsten Berlinale viel Beachtung fand und nun eine fünf Werke umfassende Kolski-Retrospektive im Polnischen Kulturinstitut eröffnet.Ein gewisser Józef Andryszek erstellt 1863 an einer Esse eine Maschine, die mit dem Licht einer Stallaterne "lebende Bilder" projiziert.Zwar ist ein Pferd nötig, die Mechanik in Bewegung zu setzen, aber die Brüder Lumière eilen herbei, die technische Schöpfung zu studieren.

Was an seiner Familiensaga Phantasie, was womöglich doch verbürgt ist, fragt man den Regisseur am besten selbst, wenn er den Film am Sonnabend vorstellt.Verbürgt ist zumindest, daß die Kinoliebe Kolskis bis ins dritte und vierte Glied zurückgeht.Die Urgroßmutter führte in Lód¿z ein Lichtspielhaus, der Großvater versuchte sein Glück als Filmproduzent, der Vater arbeitete als Cutter.Da lag es nahe, daß der Sohn mit zwanzig Jahren, 1976, als Kameramann beim Fernsehen zu arbeiten begann.Die Ausbildung holte er später nach, von 1981 bis 1986, an der Filmhochschule in Lód¿z.

Kino bedeutet für Kolski ein kunstvolles Handwerk.Darum ist die Technikbegeisterung des zehnjährigen Szustek, dem Ururenkel des legendären Józef, der die Apparatur erst als Sterbender in Bewegung setzen konnte, auch die eigene.Szustek, gewiß das alter ego des Regisseurs, erkrankt im Wortsinn bis in die Knochen, als ihm in den sechziger Jahren sein Vater die Liebe zum Kino mit Wassergüssen austreiben will.Besser geht es ihm erst wieder, als sich der Schmied mit dem Familienschicksal versöhnt und er dem Jungen die alten Baupläne vom Vorfahren ins Spital bringt.

Während die Filme Wajdas eine historische, die Kieslowskis eine individuell moralische Welt analysieren und von daher feste Umrisse haben, zerfließen Kolskis Geschichten ganz wie das Leben in vielerlei Richtungen auf wechselnden Zeitebenen.Wunder sind unverzichtbare Bestandteile dieser Dramaturgie."Zauberort" kann man den Titel von Kolskis drittem Spielfilm übersetzen, doch im Grunde müßten alle seine Arbeiten so heißen, ob sie nun von einem Wassermann, einem Tellerspieler, einem Kommandantensäbel oder vom Begräbnis einer Kartoffel handeln.Nicht nur, daß ein im Schnee erstarrter Großvater samt seinem Pferd in der Nähe des Kinematographen wieder auftaut oder schöne Frauen wie Engel durch die Luft schweben, wenn sie nicht gerade die Männer vor lebenswichtige Entscheidungen stellen - auch die Logik der Geschichte gleicht der eines Traums.Ohne Irritation dürfen die Vergnügungen der "Geschichte des Kinos in Popielawy" nicht genossen werden.Doch auf der weiten, in der Landschaft ausgebauten Naturbühne Kolskis werden alle Einfälle mit langsam gleitender Kamera und bewußt eingesetzter Musik zu einem Gesamtkunstwerk verbunden.

Am Anfang von Kolskis Autorenkino stand eine Fabel, die an Polens tiefste Wunden rührt."Das Begräbnis einer Kartoffel" aus dem Jahr 1990 (Vorführtermin: 14.März) konfrontiert mit der Ausgrenzung eines aus dem KZ heimkehrenden Mannes durch seine Nachbarn.Der Schauplatz ist ein heruntergekommenes Vorwerk, die Zeit 1946, als die Bodenreform begann.Um seinen Anteil zu bekommen, werfen sie ihm seine Habe vor die Füße und antisemitische Beschimpfungen an den Kopf.Die peinliche Klarstellung mit heruntergelassenen Hosen nützt Mateusz (Franciszek Pieczka) nicht.Erst als er sich mit der Peitsche wehrt, unterwerfen sich ihm die Übeltäter.

Aber wenn der Schuster nun doch jüdischer Abstammung wäre und beschnitten? Der Film läßt an die Pogrome von 1946 denken, um sogleich wieder abzublenden.Das Problem wächst dem Regisseur über den Kopf, wo nur noch ein Wunder helfen kann.Aber wenn dann die dummen Schurken den Wagen von Mateusz ziehen müssen, hat Kolski schon wieder ein Symbol von tiefer Bedeutung geschaffen.

Weitere Termine: "Jancio, der Wassermann" 15.März, "Zauberort" 16.März, "Der Tellerspieler" 17.März, jeweils 20 Uhr, englische Untertitel.

HANS-JÖRG ROTHER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false