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Kultur: Die große Dame aus Dahlem

Der Verlegerin Maria Sommer zum 90.

Wenn es um Geist geht und nicht nur ums Geschäft, dann ist sie Deutschlands größte Verlegerin. In einem kleinen Unternehmen, das es in sich hat. Weil es Maria Sommer hat – die am heutigen Freitag in Berlin 90 Jahre alt wird. Fast eine Jahrhundertfrau, es ist schier unglaublich.

Denn nicht nur im Kopf und von Angesicht ist sie jünger als viele Jüngere. Bis heute liest, redigiert, dirigiert sie ihren Theater- und Medienverlag noch jeden Tag vom Morgen bis in die Nacht: hellwach in ihrer kleinen, schönen Dahlemer Villa. Hochparterre und unterm Dach lebt und arbeitet sie, im Mittelgeschoss residieren in den Büros ihre Mitarbeiter, und immer um 13 Uhr trifft man sich zum gemeinsamen Mittagessen. Das bereiten zwei gute Küchenfeen im Souterrain und schicken es – altmodisch, aber unschlagbar praktisch – per Handzuglift direkt nach oben ins Speisezimmer. An dessen Tafel genießen später am Abend häufig auch Freunde, Künstler, Schriftsteller den animierenden Geist des Sommer-Hauses.

Maria Sommer, Tochter des Bezirksstadtbaumeisters in Berlin-Schöneberg, hat in den Trümmern der Hauptstadt zwei Wochen vor Kriegsende mit kaum 23 noch ihre theaterwissenschaftliche Promotion abgeschlossen. Sie begann nach 1945 für den berühmten Buch- und Bühnenverleger Gustav Kiepenheuer zu arbeiten. Als Autodidaktin wurde die junge Frau Doktor bald Expertin für Stücke, Aufführungen, Bücher – und Buchhaltung. Nach Kiepenheuers plötzlichem Tod lieh sie sich Geld, verkaufte eine goldene Uhr des Vaters und erwarb von Kiepenheuers Partner Joseph Caspar Witsch 1950 den Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb. Unter diesem Namen firmiert Maria Sommer bis heute, und hinter der ein wenig irreführenden Adresse, die doch so ganz ihre eigene geworden ist, verbirgt sich: Deutschlands heimliche Theaterkönigin.

Sie macht wenig Aufsehen von sich, hat jetzt auch keine große Feier gewollt. Aber sie hat George Tabori mit „Kannibalen“, dem ersten ungeheuren Auschwitz- Stück, Ende der 60er Jahre für Deutschland entdeckt und ihn gegen viele Widerstände durchgesetzt (später wurde er auch einer der ungekrönten Könige des Theatertreffens). Früh brachte sie Arthur Miller, Giraudoux und Anouilh in das zerstörte Land, auch Graham Greene, Peter Ustinov oder den geistvollen Komödianten Noël Coward. Ihr verdankt sich die erste deutsche Gesamtausgabe der Werke Pirandellos, sie hatte Günter Grass schon vor der „Blechtrommel“ entdeckt und später Volker Schlöndorffs Roman-Verfilmung mitveranlasst. Maria Sommer war 25 Jahre lang auch führend für die VG Wort tätig, ist heute ihre Ehrenpräsidentin – und von der Bibliothekstantieme einst bis zur Internetnutzung heute: Im Kampf ums Urheberrecht der Autoren steht die kluge, charmant-energische Dame aus Dahlem allemal an der Spitze. Demnächst, am 24. Mai, hält sie im Berliner Maxim-Gorki-Theater die Festrede bei der Verleihung des George-Tabori-Preises. Diese Wunderbare, Unermüdliche. Viva Maria! Peter von Becker

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