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Kultur: Die große Unbekannte

Streit um das Buch der Anonyma: „Eine Frau in Berlin“

Das im Juni dieses Jahres in der „Anderen Bibliothek“ (Eichborn Verlag) erschienene Buch „Anonyma: Eine Frau in Berlin“ mit den Tagebuchaufzeichnungen einer Unbekannten fand bei Kritik und Lesepublikum eine große Resonanz (siehe Tagesspiegel vom 15. Juni). Darin beschreibt eine anonyme Autorin die letzten Tage der Naziherrschaft und die ersten Wochen der russischen Besatzung in Berlin: Armut, Hunger und Vergewaltigung. Erstmals waren die Aufzeichnungen 1954 von Kurt W. Marek – bekannt durch den unter dem Pseudonym C. W. Ceram veröffentlichten Roman „Götter, Gräber und Gelehrte“ – in den USA verlegt worden. Eine erste deutsche Ausgabe folgte 1959. Mutmaßungen über die inzwischen verstorbene Verfasserin, die testamentarisch ungenannt bleiben wollte, greift der Klappentext des Buches vor: „Aus diesem Grund verbieten sich Spekulationen über ihre Identität.“

In der „Süddeutschen Zeitung“ vom Mittwoch wurde die Identität der Anonyma aufgeklärt und dem Buch aufgrund der Verschleierung der Autorschaft sein Wert als zeithistorisches Dokument abgesprochen. Der Verfasser des Artikels, Jens Bisky, behauptet, dass es sich um die Aufzeichnungen der Journalistin Marta Hillers (1911–2001) handele, und er insinuiert, dass Kurt W. Marek wesentlich in den Text eingegriffen habe.

In der gestrigen Ausgabe der „FAZ“ verteidigte Felicitas von Lovenberg die Seriosität des Buches. Ein Gespräch mit der Witwe Hannelore Marek, die die Buchrechte innehat und sowohl Entstehungsgeschichte als auch Verfasserin kennt, räume Lovenberg zu Folge alle Zweifel aus: Die Schulhefte, in denen die „Anonyma“ ihre Erlebnisse notierte, „befinden sich in notarieller Verwahrung“. Die Abweichungen gegenüber den ersten Veröffentlichungen seien von der Verfasserin selbst nach der ersten deutschen Ausgabe von 1959 vorgenommen worden und beträfen „Verbesserungen von Orthographie und Grammatik sowie minimale stilistische Korrekturen.“ Biskys Frage nach der Anzahl von Fassungen beantwortet Lovenberg auch: „Nur eine: das jetzige Buch, an dessen Rang als Dokument von eminentem historischem und literarischem Wert kein Zweifel besteht.“

Hans Magnus Enzensberger, Herausgeber der „Anderen Bibliothek“, zeigte sich verärgert und „gratulierte“ Bisky zu dem „Triumph, Namen und Adresse einer vergewaltigten Frau auszukundschaften und gegen ihren Willen zu veröffentlichen“. Tsp

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