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Kultur: „Die Großstadt ist eine Illusion“

Emmanuel Bourdieu stellt den Film „Vert Paradis“ in Berlin vor. Ein Gespräch über feine Unterschiede

Monsieur Bourdieu, Ihr Film „Vert Paradis“ ist eine Liebesgeschichte. Sie handelt von Männern, die ihre Gefühle nicht zeigen können. Können das nur Frauen?

Es stimmt, beide Protagonisten meines Films schaffen es nicht auszudrücken, was sie empfinden. Vielleicht weil sie glauben, das sei zu feminin. Da gibt es so etwas Machistisches, jedenfalls unterbewusst. Bei meinen Figuren, und auch bei mir selbst.

Sie leben in Paris, aber Ihr Film spielt in der Provinz. Warum interessieren Sie sich für das Land? Sind die Bindungen dort dauerhafter als in den großen Städten?

Nein, das hat nichts mit Land oder Stadt zu tun. Aber die geografische Instabilität spielt eine große Rolle, sie zieht ja die psychische nach sich. Manche Leute sind sehr stabil, weil sie sich ganz einfach nie bewegen. Leidenschaft entsteht, wenn man sich verändert. Wenn man mal loslässt, wo auch immer.

In einer der stärksten Szenen fragt eine Frau einen Mann, ob er sie liebe. „Ich weiß nicht“, sagt der Mann. Das ist nicht gerade ermunternd.

Das stimmt. Ich wollte anfangs beide Antworten drehen, Ja und Nein. Das hat nicht funktioniert. Und dann wollte ich, dass er „Nein“ antwortet. Er improvisierte aber und sagte: „Ich weiß nicht.“ Alles läuft bei ihm gut: Er hat seine Arbeit beendet, sich eingerichtet, hat Projekte: Und plötzlich, wie ein Unwetter, packt ihn dann seine Vergangenheit. Er stürzt in eine brutale Konfusion.

In Ihrem Film zeigt sich die Herkunft aus den verschiedenen sozialen Milieus anhand kleiner Zeichen, zum Beispiel Mode. Was bedeuten diese feinen Unterschiede für Sie?

Das mag manche schockieren. Man ist in den Ferien und sieht eine Frau im wunderschönen Kleid. Später sieht man sie in Jeans bei der Post arbeiten. Plötzlich ist alles ganz anders. Das ist sehr pessimistisch. Aber man muss wohl selbst diese Barriere, diesen sozialen Rassismus überwinden. Das soziale Umfeld ist sehr wichtig für die Dinge, die wir als rein empfinden: Gefühle, Sympathie, Antipathie, Liebe. Es schafft schmerzhafte Missverständnisse, auch wenn sich die Milieus schon sehr vermischt haben.

In Deutschland ist Fatih Akins Film „Gegen die Wand“ sehr erfolgreich, es geht um die Probleme türkischer Immigranten. Die Nordafrikaner erleben das in Paris ähnlich. Ihr Thema aber ist: Liebe. Sind Sie unpolitisch?

Nein, im Gegenteil. Im Grunde erzähle auch ich von Migration. Nur geht es um die Migration der Inländer. Da ist natürlich der Bruch mit der Kultur nicht so stark, das Exil nicht so gewaltsam. Aber es löst trotzdem Traumata aus. Menschen sehnen sich nach dem friedlichen Ort ihrer Kindheit oder gehen mit vielen Illusionen in große Städte wie Paris. Nur für eine Weile, glauben sie. Aber die Leute kehren nie zurück. Das ist im Grunde tragisch. In meinem Film kreisen sie umeinander. Und ich selbst habe erst später gemerkt, dass es vordergründig nur um Liebe geht.

Wie unterscheiden sich der deutsche und der französische Film?

Also ich mag vor allem die deutschen Klassiker: Max Ophüls, manches von Fassbinder. Und Wim Wenders, den liebe ich sehr. In seinen Filmen gibt es das, was ich Dichte nenne. Das sagt man bei uns auch über die deutsche Mentalität. Ich kann mit der französischen „Leichtigkeit“ nichts anfangen, die ist oft nur die Maske für allerlei Eitelkeiten.

Was könnte die Deutschen an Ihrem Film interessieren?

Er erzählt eine Geschichte von Menschen, die am falschen Ort sind. Von Immigranten und querlaufenden Gefühlen. Das ist nicht spezifisch französisch. Dahinter steckt etwas Universelles – dem nähert man sich ja über das Einzelne. Junge Bauern haben mir erzählt, dass sie sich darin wiedergefunden haben, und vielleicht geht das ja Deutschen genauso.

Wie nehmen Sie Deutschland von Frankreich aus wahr?

Ich mag die deutsche Kultur. Sie wird von vielen als „symbolisch überladen“ empfunden. Aber mich fasziniert das Komplexe. Bach und Beethoven. Das Wort „Tiefe“ ist nur ein Bluff. Aber wenn man die Anstrengung spürt, beispielsweise in Bachs großartigen Fugen, da hat man das Gefühl, er hebt einen Berg. Die deutsche Kultur ist schwer, aber sie berührt mich.

Als Vertreter einer jungen Generation französischer Regisseure treten sie ein großes Erbe an. Wie gehen Sie damit um?

Schwer zu sagen, Jean Renoir zum Beispiel mag ich, aber wirklich beeinflusst hat er mich nicht unbedingt. Mit meinen Filmen versuche ich mich ihm anzunähern. Aber da habe ich noch viel zu tun.

Als Sohn eines berühmten Intellektuellen haben Sie ebenfalls ein großes Erbe. Sieht man Ihre Filme, so hat man den Eindruck, dass Sie als Regisseur auch sehr soziologisch arbeiten.

Ja, außerordentlich stark. Der Film spielt übrigens in der Region, in der mein Vater geboren wurde. Er ging dort spät weg, zum Studium. Und kam wieder, um einen Artikel über Ehelosigkeit auf dem Land zu machen…

...genau wie der Soziologe im Film.

Ja. Mein Vater und ich haben viel über das Projekt geredet, er liebte es. Der Darsteller des Soziologen war sehr gut mit ihm befreundet, sie haben gemeinsam Interviews für sein Buch „Das Elend der Welt“ geführt. Ich war auch dabei. Mein Film ist eine Fiktion, aber auch meine Realität. Etwas sehr Persönliches.

Mit Emmanuel Bourdieu sprach Maxi Leinkauf.

Bourdieu wurde

1964 in Paris

geboren. Er absolvierte die Eliteschule ENA.

Der Sohn des 2002

verstorbenen Soziologen Pierre Bourdieu

ist Schriftsteller,

Dramatiker und

Filmregisseur. Mit jungen Filmschaffenden gründete er die

Gruppe „Rive Gauche“. Bourdieu arbeitete

mit französichen

Regisseurinnen

wie Nicole Garcia („Place Vendôme“)

und Catherine Corsini („La Nouvelle Eve“). 1998 drehte er

seinen ersten Kurzfilm Venise . Für Candidature erhielt er 2001 den Jean-Vigo-Preis. Vert Paradis (2004), der erste Langfilm des 39-Jährigen, erhielt den

Fipresci-Preis und lief erfolgreich im französischen Kino.

DER FILM

Anlässlich der Französischen Filmwoche läuft „Vert Paradis“am 12.7. um 20 Uhr im Cinema Paris , Kurfürstendamm 211 (Charlottenburg).

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