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Kultur: Die Guten und die Bösen

THEATER

Gemütlichkeit in der warmen Schneiderstube. Der Meister näht, der Kunde wartet, der Ofen bullert. Kleine ordentliche Welt, die Welt der ehrsamen Handwerker und verdienten Pensionisten. Aber dann stürzt der junge Mann mit der Pistole in die Werkstatt und fordert Geld: Der Überfall nennen die Österreicher Susanne Freund und Florian Flicker ihr nach dem gleichnamigen Kinospielfilm von 2000 entstandenes Kammerspiel. Aus der Begegnung dreier Männer auf engstem Raum formen sie die große (Wiener) Gesellschaft.

Es stimmt nämlich nicht mit der Gemütlichkeit. Der Schneider versteckt nicht nur Geld, sondern auch seine erotische Begehrlichkeit. Der Postrentner lebt zu Hause, ist ein Feigling und Psychopath. Der Räuber aber steht gerade eine Scheidung durch, er braucht einfach ein bisschen Geld für seinen Sohn, den sie ihm sonst wegnehmen. Wer ist Täter und wer Opfer?

Das Kammerspiel hat nicht wenig von der bissig-heiteren und untergründig boshaften Art der Dramatik Nestroys, aber auch einiges von den deftigen Wendungen des rührseligen Volksstücks. Es spielt mit schneidiger Gesellschaftssatire und mit dicker, fast schon klamottiger Situationskomik. Und bringt das scheinbar Widerstrebende doch zur Einheit. Denn immer bleibt ein Hauch Ironie, der das Böse nie zum unumkehrbaren Ernst macht. Fluchten bleiben immer, und so hart die Figuren angegangen werden, sie bleiben irgendwie liebenswert, normal, alltäglich – aber eben auf ihre besondere Weise. So zumindest sieht Hans-Joachim Frank das Stück, das er im theater 89 (als Koproduktion mit dem Volkstheater Rostock) zur Uraufführung brachte. Anne-Kathrin Hendel schuf im intimen schwarzen Raum des Theaters eine Bühne auf zwei Ebenen, die mit fantastischer Liebe zum Detail eine zauberhafte Atmosphäre atmet.

Dieses verwinkelte Refugium biedermeierlicher Geborgenheit nutzt der Regisseur, indem er die oft fast unmerklichen, mitunter aber auch plötzlichen Umschwünge in den Beziehungen der Figuren aufs Engste mit dem Innenleben der Schneiderei verbindet. Ob Gewalt ausbricht oder wieder verebbt, ob fast freundschaftliche Bündnisse entstehen oder wieder gekündigt werden, ob Mitleid erwacht und bald in höhnische Provokation mündet – alles kommt aus dem Kleinen, Privaten und damit aus dem Kern der großen Welt.

Hans-Joachim Frank hat drei Schauspieler, denen es mit einer beeindruckenden Sicherheit gelingt, ihre Figuren im Kleinbürgerlichen zu verankern. Bernhard Geffke gibt dem Schneider einen spitzigen Trotz, eine unterschwellige Arroganz, die nur für Momente einmal wegrutscht, in kreatürliche Angst, in den Schrecken. Dass die scheinbar sympathische Tapferkeit raffiniertes Kalkül ist und aus dem Geiz kommt, zeigt der Schauspieler in einer spinnenhaft lauernden Weise.

Eckhard Becker macht aus dem Frührentner eine saftige, pralle Figur, einen faschingshaft geschminkten, rotgesichtigen Kerl zwischen Großartigkeit und schmieriger Feigheit, der sich möglichst schmerzlos durchbringen will. Diesem verdorbenen alten Kind stellt Richard Putzinger den Pistolenmann gegenüber und zeigt, dass dieser aus einer anderen Wirklichkeit kommt, Ein Arbeitsloser, der nach einer kleinen Chance sucht, der nichts Böses will und doch Böses tun muss – das ist spröde, rau und anrührend zugleich. Frank schuf mit großer Sorgfalt eine kleine Aufführung, die auch nicht mehr sein will als eine Miniatur – und gerade deshalb überzeugt. (Vorstellungen vom 13. bis 16. sowie vom 27. bis 30. März, 20 Uhr, Berlin- Mitte, Torstraße 216.)

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