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Kultur: Die Halle heult mit

Warm wummert die Hammondorgel.Die Akustikgitarre zirpt und zwitschert.

Warm wummert die Hammondorgel.Die Akustikgitarre zirpt und zwitschert.Jesusgleich steht der Sänger im grellen Scheinwerferlicht, das ihn umschließt wie eine Aureole.Er lächelt versonnen, wiegt sanft den Kopf und klappt im Zeitlupentempo seine Augen auf und zu.Genauso zeitlupenlangsam singt er auch: "Like a Bird on a Wire / Like a Drunk in a Midnight Choir / I have tried in my Way to be free." Jetzt kommen die beiden Backgroundsängerinnen ins Bild, die verzückt hauchen: "Uuuah, Aaah, Uuuah!" Sie tragen wallende Gewänder und dicke Hornbrillen und sind trotzdem irgendwie sexy.Ja, so verrückte Zeiten waren das, die frühen siebziger Jahre.Der Sänger ist natürlich Leonard Cohen, und genauso wie sein Lied heißt auch der Film, der nach einem Vierteljahrhundert nun noch einmal ins Kino kommt: "Bird on a Wire".Der Film ist das Dokument einer Zeit, die gerade eben vergangen ist und dennoch ferner zurückzuliegen scheint als das Mittelalter, und deshalb sind die Frisuren, Bärte und Kleidungsstücke, die in ihm vorkommen, mindestens genauso interessant wie die Lieder.Festgehalten ist hier der Sound einer ganzen Epoche: Das macht "Bird on a Wire", dessen einzige deutsche Kopie die Macher des Kreuzberger "Eiszeit"-Kinos in Bremen aufgespürt haben, zu einer atemberaubenden Wiederentdeckung.

Der Hauch des Historischen lag schon über dem Film, als er 1972 herauskam, denn da hatte Cohen gerade eben (wie noch einige Male später) seinen Rückzug aus der Musikbranche erklärt.Die Tournee durch 23 europäische Städte sollte seine letzte sein, und die Dokumentation, die der britische Filmemacher Tony Palmer ("Cream Last Concert") dabei drehte, eine Art Vermächtnis.Palmers Kamera folgt dem Songwriter durch Flughafenhallen und Hotelzimmer, steigt mit ihm in den Tourbus, zeigt das öde Warten in Backstagegarderoben und die wenigen Momente der Ekstase auf der Bühne.Die nahezu religiöse Inbrunst, mit der die vorwiegend weiblichen Fans den kanadischen Pop-Poeten feiern, ist auch die Haltung des Filmes, der sich dabei allerdings noch kritisch gibt: Der Star wird ausgestellt, nicht entzaubert.Heroenkult in der Prä-MTV-Ära."Können Sie mir etwas über Kreativität sagen?" fragt ein Reporter in Paris.Langes Schweigen."Nein", antwortet Cohen.Er redet nicht viel, und wenn, dann ist es meist banal.Die Songs, die er singt, sind schlauer als er selbst.Der Höhepunkt des Films ist Cohens Auftritt in Jerusalem.Da ist er vom melancholischen Pathos seiner Lieder so ergriffen, daß er nur noch heult.Und die Halle heult mit.Ja, es war schon eine verrückte Zeit.

In Berlin im Eiszeit-Kino

CHRISTIAN SCHRÖDER

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