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Kultur: Die Hölle öffnet sich

Aus Reden, aus Worten entstehen die Verhängnisse.Der schamlose Blick in den Kehlkopf und auf arbeitende Stimmbänder zeigt das Sprechen als eine tiefrote, gleichsam blutige Verrichtung.

Aus Reden, aus Worten entstehen die Verhängnisse.Der schamlose Blick in den Kehlkopf und auf arbeitende Stimmbänder zeigt das Sprechen als eine tiefrote, gleichsam blutige Verrichtung.Was gesagt wird, scheint sich wie aus einer Wunde herauszuwinden.Romeo Castelluccis Inszenierung von Shakespeares Tragödie "Julius Cäsar" mit der Societas Raffaello Sanzio aus Cesena beginnt mit dieser Bloßlegung verborgener Vorgänge im Kopfinneren, um auf die Kraft und die Gefahr der Rhetorik hinzuweisen, auf das Gemetzel, das im Machtspiel der Worte beginnt und beschlossen ist.Hinter dem redenden Schauspieler erscheint eine verstörende physiologische Demonstration auf der Bühnenrückwand - was Muskeln und Schleimhäute beim Bilden von Lauten, von Sprache zu leisten haben, drängt sich so ins Spiel, ins Spiel um Macht, um den Gang von Geschichte.Und fortan wird geredet? Weit gefehlt.Castelluccis Inszenierung läßt von Shakespeares Text nur Erinnerungsfetzen übrig, gestaltet ihn auch selbständig um.Die Bühne wird, im ersten, helleren Teil - "Onan: Schuld" - zum Gefängnis von Bildern, Tönen, Geräuschen.Drähte sind gespannt, Antennen drehen sich, urtümliche Mikrofone werden benutzt, Licht und Dunkel markieren einen Raum, der Laboratorium ist und Hexenküche, ein Irgendwo, in dem die Zeiten wie im Zustand der Erschöpfung zusammengebrochen sind.

Cäsars Ermordung (durch einen um den Körper gewundenen Strick) geht so aus einer christkatholischen Fußwaschung hervor.Der siegreiche Feldherr ist ein steinaltes, dürres Männlein, und Brutus trocknet ihm die Füße mit einem langen Haarschwanz.Alles auf der Bühne ist Zeichen, trägt Bedeutung, erzählt von Geheimnissen, darunter auch ein leibhaftig im Halbdunkel ausharrendes Pferd oder der massige Mann, dessen Rücken ein Cello abgibt.Zwei Reden sind in diese Welt, diesen Geschehniskasten eingefügt - die des Brutus, Cäsars Ermordung rechtfertigend, und die des Antonius, den Mord beklagend.Nur diese propagandistischen Versuche stützen sich bei Castellucci auf einen zusammenhängenden Text.Brutus (Giovanni Rosetti) liefert die leidenschaftliche, pathetische Ansprache; Antonius (Dalmazio Masini) in stereotyp gefrorener Haltung die kollernd heisere, leise Beschwörung.Masini tritt auf einen Säulenstumpf, der die Buchstaben "Ars" trägt, er kommt an den Vorhang, der zugleich Cäsars blutdurchwirktes Gewand darstellt, tritt heraus zu den Zuschauern, geht wieder zurück.Zwei Reden nur, aber sie begründen Krieg, Grausamkeit, Tod, Zerstörung.

Dafür stürzt der Regisseur die Bühne nach der Pause - "Psyche: Sühne" - in nächtiges Schwarz: Ein Höllenschlund tut sich auf, ein Folterbunker, und doch auch eine düstere Kathedrale.Metallstücke, wie Reste einer abgebrannten Zuschauertraverse, bedecken den Boden.Und wieder Drähte, allerlei Getier, die Katze mit rollendem Kopf, das Raubtier mit dem abgesprengten Schwanz, Fische, ein weißes Pferdegerippe.Lichtspuren pflügen durch das Dunkel, Geräusche schwellen an bis zur Schmerzgrenze - rollende Züge, Herztöne, dumpfe Einschläge.Dazu dröhnende Musik, an dunkle, angsterfüllte mittelalterliche Choräle erinnernd.Brutus und Cassius, die Verschwörer gegen Cäsar, werden nun von Frauen (Maria Noemi Regalia, Cristiana Bertini) gespielt, Antonius hat noch einen kurzen zeremoniellen Auftritt.Keine Schlacht - aber der Tod ist allgegenwärtig, und alles Geschehen bleibt mystisch eingebettet in religiöse Vorstellungswelten der unterschiedlichsten Art.Deshalb steigern sich die Selbstmorde von Brutus und Cassius zum hochgeladenen Tanz, zum ausdrucksmächtigen Gebärdenspiel.Am Ende gibt es eine Wiederauferstehung, ein Locken hin zu paradiesischer Entrücktheit, wenn auch in seltsam klagendem, ja kläglichem Ton.

Rhetorik führt ins Verhängnis - oder zur Erlösung? Castellucci gibt in seiner szenischen Verschlüsselung keine Antwort.Er macht die Hölle auf, die Hölle der Geschichte, die nicht änderbar ist.Und spricht der Rhetorik zugleich eine unterschiedslos große Bedeutung zu - für Propaganda, für Theater, für militärische wie für ökonomische Machtbehauptung, für den Ausdruck freien kreativen Willens ...In seiner Inszenierung ist solche Freiheit wie unter Asche verschüttet.Die Drähte glühen, die Technik arbeitet, die Nacht triumphiert.Wer den Mut und die Abenteuerlust aufbringt, sich durch lastende, bildmächtige Düsternisse einen Weg zu bahnen, sollte diesen "Julius Cäsar" der Societas Raffaello Sanzio nicht versäumen - zur leider nur mäßig besuchten Gastspiel-Premiere gab es herzlichen Beifall.

Weitere Vorstellungen heute (20.) und am 21.sowie vom 23.bis 25.Oktober, jeweils 20 Uhr.

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