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Kultur: Die Isar-Neckar-Connection

Wir Erfolgsintendanten: Sir Peter Jonas und Klaus Zehelein feiern offiziell Abschied vom Musiktheater

Auf Sir Peters Konferenztisch liegt seit 13 Jahren eine Handgranate, und wenn er sich aus dem Fenster lehnen würde (was er selten tut), dann sähe er hinunter auf die Nobel-Boutiquen der Münchner Maximilianstraße: Porsche, Jil Sander, Yves Saint Laurent. Von Klaus Zeheleins Büro überblickt man das Kommen und Gehen – wer zur Stuttgarter Staatsoper hineinwill, kommt am Hausherrn nicht vorbei. Sir Peter trägt gerne rote Socke oder Quilt, spielt leidenschaftlich Kricket, ist ein exzessiver Weitwanderer und macht jeden Tag mindestens eine Stunde Yoga. Bei Zehelein straft schon die Stimme alles Gesündere Lügen: ein vom Kulissenstaub gesättigtes, vom „Lebenswandel“ klaftertief zerfressenes Organ. Hans Neuenfels, einer der prägenden Regisseure in Zeheleins Stuttgarter Zeit („Meistersinger“, „Entführung“), hört sich an schlechten Tagen ähnlich an. Aber der ist schließlich Künstler. An der Bayerischen Staatsoper hat er nie gearbeitet. Einen wie ihn würde einer wie Jonas nicht engagieren.

Oper ist ein Geschäft mit Grenzen, zuallererst wohl mit den eigenen.

Jonas & Zehelein: smarter Musikmanager-Typ und Engländer mit Wurzeln in Hamburg der eine, Alt-68er und dramaturgisch-dialektisches Gewissen der Nation der andere. Gegensätzlicher können Theatermenschen kaum sein. Was sie eint, ist der Erfolg. Klaus Zehelein und Peter Jonas haben in den vergangenen 15 respektive 13 Jahren das deutschsprachige Musiktheater geprägt, nein, sie waren dieses Musiktheater. Alles, was sich zeitgleich in Hamburg tat, womit Wien sich ins Gespräch brachte, was man über Zürich schon immer zu wissen glaubte, die zarten Pflänzchen, die in Frankfurt oder Hannover keimten, die Leipziger Versuche, Dresdens Selbstverständlichkeit – dies alles vollzog und vollzieht sich im konzeptionellen Koordinatensystem zwischen Neckar und Isar. Eine irgend antagonistische Handschrift, ein wirklich anderes Theater traute sich hier so schnell keiner mehr.

München und Stuttgart sind Synonyme dafür, über welche Art von Musiktheater die bundesrepublikanische Gesellschaft der Neunzigerjahre sich überhaupt zu verständigen bereit war. Da gab es in München die Erweckung der legendären „Brit- Pop“-Ästhetik zur Barockoper, nebst einem – um ein böses Wort Claus Peymanns aufzugreifen – ebenso nobel wie teuer ausgestatteten „Boutiquentheater“ für den Rest des Repertoires. 200 Kilometer weiter westlich wiederum startete man den anachronistisch anmutenden Versuch, die ästhetisch-ideologischen Säulen der Frankfurter Gielen-Ära abzutragen (der Zehelein seit den frühen Achtzigerjahren maßgeblich verbunden war) und in Stuttgart wiederaufzurichten; als wäre die Dialektik der Aufklärung auf dem Theater nicht längst von gänzlich anderen Denkmustern umstellt: von der Postmoderne, der Medialisierung, der kreischenden Eventualisierung alles Bürgerlichen. Und als behielte der alte Adorno ewig Recht.

Es ist bezeichnend, dass unsere musiktheatralische Identität wenige Jahre nach der Wiedervereinigung ausgerechnet im süd(west)deutschen Raum Fuß fasste. Dieser stellte gewissermaßen die sicherste Entfernung zur Mitte der neuen Berliner Republik dar, zur Hauptstadt selbst wie zu den traditionsträchtigen Opernhäusern von Dresden und Leipzig. Und auch die Impulse vor Ort, in München und Stuttgart, sie sprechen gewiss für sich. Peter Jonas wechselte nach Stationen beim Chicago Symphony Orchestra und in London an die Bayerische Staatsoper, Klaus Zehelein, wie gesagt, kam von der Frankfurter Oper, wo er mit Neuenfels’ berüchtigter „Aida“ und dem Berghaus-„Ring“ für Aufführungen sorgte, die von der Widerständigkeit, der lesartlichen Offenheit ausgerechnet des alten Schlachtrosses Oper zeugten.

Der eine also installiert internationales Flair und ein knallhartes Marketing-Konzept, der andere entspringt den Eingeweiden der alten Bundesrepublik. „Wir machen hier nicht Kultur, sondern Kunst“, lautet ein typischer Zehelein-Satz. Die Kreuzung beider Pole, des Weltläufig- Entspannten mit dem Weltanschaulich- Engagierten, wäre für Berlin noch heute ein taugliches Rezept.

Vor allem aber begreifen beide Cäsaren sehr schnell, an welchen Orten sie arbeiten und für wen. Die Einsicht ins so genannte Gesellschaftliche, die Erkenntis, dass sich die Oper im ausgehenden 20. Jahrhundert weniger denn je von selbst versteht – das gibt den Ausschlag für den historischen Doppel-Erfolg. Mit großer Eleganz, ja Virtuosität, mit dem Humor des Zugereisten und einer gehörigen Portion Autokratie reiht Jonas sein Haus in die illustre Reihe der internationalen Opern-Supertanker ein (Wien, Mailand, Paris, London, New York). Unter ihnen ist er der Avancierteste, Witzigste, ästhetisch Sicherste – mühelos. Und mögen sich die Adabeis des Münchner Publikums über den kollabierenden Dinosaurier in Händels „Giulio Cesare“ anfangs auch mächtig alterieren, und fliegen bei der Uraufführung von Hans Jürgen von Boses „Schlachthof 5“ noch zwei Jahre später Flugblätter von den Rängen: Alsbald ist der hochaufgeschossene Brite Kult in der Weltstadt mit Herz. Der kapellmeisterliche Mehltau, der sich in der Ära Sawallisch auf das Nationaltheater gelegt hatte, scheint wie weggeblasen. Und die Außenhaut, sie glänzt apfelfrisch.

Diesen Status weiß Jonas mit viel Kraft und Geschick zu manifestieren. Die Händel-Schiene perfektionieren neben dem Alte-Musik-Spezialisten Ivor Bolton Regisseure wie Richard Jones, Martin Duncan und die Allzweckwaffe David Alden, das Zeitgenössische bewegt sich allzeit in homöopathischen Dosen (Henze, Reimann, Trojahn, Widmann). Und mögen die Münchner Hausgötter Mozart-Wagner-Strauss auch so manches Unbill in Kauf nehmen müssen (bis hin zu Herbert Wernickes Tod während des neuen „Rings“): Die Opulenz stimmt. Sängerstars wie Edita Gruberova, Waltraud Meier, Placido Domingo oder Anna Netrebko entschädigen für so manches szenische Ungeschick, und mit Zubin Mehta wird 1996 ein Bayerischer Generalmusikdirektor berufen, der die Globalisierung endgültig salonfähig macht. „Oper für alle!“, so lautet beim Festspiel-Open-Air auf dem Max-Joseph-Platz der Schlachtruf. Zynisch ist das nicht gemeint.

Auch Intendanten aber werden müde – und die kulturpolitischen Implikationen ihrer Jobs kaum ersprießlicher. Hatte Jonas in rasanter Zeit ein funktionierendes Spielplanschema gefunden, von dem er partout nicht mehr abweichen wollte, so kämpfte Klaus Zehelein damit, dergleichen zu vermeiden und selbst das Unerhörte immer wieder in Frage zu stellen. Die lange nicht nachlassende Konsequenz, mit der das Stuttgarter Leitungsteam um Zehelein, Pamela Rosenberg und den Dirigenten Lothar Zagrosek sich dieser Herkulesarbeit stellte, trug ihnen fünfmal den Kritiker-Titel „Opernhaus des Jahres“ ein. Und das kreative Ausbeulen der Gedankenschläuche, es förderte tatsächlich Neues zu Tage.

So verschrieb sich die Stuttgarter Oper mit tapferer Hingabe der Arbeit lebender Komponisten. Man hob Adriana Hölszkys „Giuseppe e Sylvia“ aus der Taufe, besorgte die gefeierte Zweitaufführung von Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und rief Luigi Nonos politische Brisanz in Erinnerung („Intolleranza“, „Al gran sole“). Folgerichtig auch: die Gründung des Forums Neues Musiktheater zur professionellen Ermutigung des künstlerischen Nachwuchses.

Vor allem mit einer Titanen-Tat freilich dürfte Klaus Zehelein in die Musiktheater-Annalen eingehen. Der „Ring“ der vier Regisseure, der sich 2000 mit Peter Konwitschnys grandioser „Götterdämmerung“ schloss: ein glühendes Plädoyer wider jeglichen Totalitätsanspruch. Wo die Welt vor unseren Augen und Ohren in Stücke bricht – so das dramaturgische Credo weit über Wagner hinaus –, kann und darf Kunst keinesfalls konservieren, nicht heilige Ganzheit vorgaukeln. Das Konzept ging auf, nicht zuletzt weil Lothar Zagrosek am Pult des Staatsorchesters den Bogen über 16 Stunden Musik zu spannen wusste und das Kunstweltschmerzliche der Dekonstruktion so erst recht spürbar machte. Mit Joachim Schlömer, Christof Nel und Jossi Wieler war hier der Stuttgarter Regiestamm am Werk, zu dem neben Nigel Lowery und Martin Kusej vor allem Hans Neuenfels gehört. Dass es 15 Jahre lang im Wesentlichen bei diesem Personal blieb, mag man als Treue wie als Stagnationsmoment auslegen.

Einzig bei Konwitschny, dem Berghaus-Schüler, treffen sich die Schwaben und die Bayern. In München stellt er mit „Parsifal“, „Tristan“ und „Holländer“ unter Beweis, dass das so genannte Regietheater sich im Dunstkreis des Jetsets keineswegs verraten muss. Stuttgart aber wird ihm, der sich immer gern in den Schoß kleinerer Häuser verkrochen hat, weit existenzieller zur künstlerischen Heimat: Eine furchtbar nackte, allen Mythentands entkleidete „Zauberflöte“ belegt einen außerordentlichen Mut zum Schonungslosen, den wohl nur entfalten kann, wer sich umfassend beschützt und geliebt weiß. Am Neckar, so scheint es, lernt man nicht aus dem Leben für die Oper, sondern aus der Oper für das Leben. Die können wirklich alles außer Hochdeutsch.

Jonas & Zehelein : Der eine (60) packt seine Granate ein und empfiehlt sich als Ruheständler. Der andere (66) wechselt zur Bayerischen Theaterakademie nach München. Schon sehen wir sie sitzen, im „Roma“ oder im „Via Veneto“ an der Maximilianstraße, und über wilde Zeiten diskutieren. Ihre Söhne werden sich noch umschauen.

„Wenn Musik der Liebe Nahrung ist“ – Wunderbare Jahre: Die Bayerische Staatsoper 1993 – 2006, Verlag Schirmer/Mosel, 264 Seiten, 68 Euro.

15 Spielzeiten ander(s), Staatsoper Stuttgart 1991 – 2006. raumzeit3 verlag, 160 Seiten, 29 Euro.

Mit Schönbergs „Moses und Aron “ eröffnet die Bayerische Staatsoper heute ihre letzten Opernfestspiele der Ära Peter Jonas. Regie führt David Pountney, es dirigiert Zubin Mehta. Die Festspiele schließen traditionell am 31. Juli mit Wagners „Meistersingern “. Bis dahin stehen rund 20 Produktionen auf dem Programm.

In Stuttgart hat am kommenden Sonntag mit der Uraufführung von Josef Martin Kraus’ „Aeneas “ die letzte Neuinszenierung der Intendanz Klaus Zehelein Premiere. Regie führt dieser selbst (anstelle des erkrankten Peter Konwitschny). Die Saison endet ebenfalls am 31. Juli mit Verdis Otello .

Christine Lemke-Matwey

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