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Kultur: Die Jägermeistersinger

Grüne Männchen, grüne Mädchen: Claus Peymanns halbe Jelinek-Uraufführung im Berliner Ensemble

Das ewig Deutsche zieht uns hinan und hinab und immer ein wenig nervend noch her und hin – zwischen Ost und West, zwischen Einst und Jetzt. Deutsche Stoffe wesen im Jahre 60 nach Untergang und Befreiung auch auf den deutschen Bühnen, eingesponnen in schwarzrotgoldene (oder schwarzweißrote) Fäden selbstkritischer Erinnerungs-Dramaturgien. Aber zieht uns das wirklich auch an?

Und was wäre dieses überzeitlich „Deutsche“? Irgendwas Faustisch-Fanatisches, Sentimentalisch-Romantisches? Solche Fragen geistern einem durchs Hirn, wenn Claus Peymann jetzt im Berliner Ensemble zu Elfriede Jelineks „Wolken. Heim. Und dann nach Hause“ eindreiviertel Stunden lang in ein Stück deutsches Nationaltheater lädt. Elfriede Jelinek ist zwar Österreicherin, aber von nichts anderem ist hier die Rede als: von deutschem Wesen und Wähnen, Wurzeln und Wabern. Eine doppelte Weihe- und Wehestunde, und um das auszuhalten und vorzustellen, müsste es wohl saukomisch und irrwitzig, gespenstisch und ziemlich abgründig suggestiv zugehen.

Stattdessen ist von Anfang an alles sehr ordentlich. Neckisch fast. Weshalb wir es für eine Falle halten. Sechs Damen und acht Herren sind in jägergrüne Fräcke gepackt, haben die kalkweißen Theatergesichter mit grünen Bäckchen, Brauen, Nasenspitzen geschmückt, tragen katzenschnurrig aufgemalte Bärtchen, einer hat einen Hitler-Schnauz und alle weiße Pantomimenhandschuhe. So zum grünen Männchen/Mädchen-Chor gruppiert agieren sie in einem ebenso grünen, von Neonröhren gesäumten ausgangslosen Korridor, an dessen schmalem Ende in unerreichbarer Höhe ein winziges Fenster mit Rotlicht und der Silhouette von zwei Tannenbäumchen leuchtet (Bühne und Kostüme: Achim Freyer).

Hier, in dieser Mischung aus Wilhelm Jägermeisterwelt und von Grau in Grün getauchter Beckett-Endspielbude, heben die 14 Sausefräcke zum lieblichen Kanon an: „Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald“. Das steht nicht ganz in Jelineks Text, aber ihr „Wolken. Heim“ ist natürlich auch so etwas wie ein deutsches Wolkenkuckucksheim. Eine auf Illusion und Dunst gebaute Wohnstatt des Geistes und der Geister, die Elfriede Jelinek in ihrer rollenlos durchgeschriebenen Collage sanft raunend und auch mal sarkastisch staunend herbeiruft.

„Wolken. Heim“ ist ein Zitaten-Sampling teutonischer Geistesgeschichte, mit viel Hölderlinscher Wehmut und Wehwut, die das Deutsche als gleichermaßen vaterländisch heilig wie fremdenverderblich besingt; dazu in die Textur eingewebt allerhand Fichte und Kleist, Hegel, Hitler und Heidegger, Ulrike Meinhof und RAF-Postillen. Vom Terror, der aus Deutschland kommt, und von der Sehnsucht nach mächtiger Natur, nach machtgeschützter Innerlichkeit, nach tiefer Wissenschaft und dunklen Wäldern geht da das Singen und Sagen. Gespielt wurde es erstmals 1988 in Bonn.

Weil Claus Peymann von der Wiener Literaturnobelpreisträgerin, die er schon zu seinen Burgtheaterzeiten inszeniert und gegen Haidersche und andere Angriffe in Schutz genommen hat, nun aber gerne eine Berliner „Uraufführung“ haben wollte, hat ihm Jelinek ein neues, kürzeres Postscriptum zugeeignet: „Und dann nach Hause“. Warum dieses „nach Hause“ nach dem im „Wolken. Heim“ längst beschworenen „Wir sind wir“ und wir sind hier, und „Jetzt sind wir zuhaus“ noch eine sinnvolle Fortführung oder gar Steigerung sein sollte, bleibt allerdings Jelinek & Peymanns Geheimnis.

Leider ist es das einzige Geheimnis des Abends. Denn der niedliche Singspiel-Anfang lockt in keine Harmlosigkeitsfalle. Sondern gibt den Takt vor fürs Ganze. Der Schauspieler Gerd Kunath beispielsweise setzt zu aller Zopfigkeit der Masken noch eine Allonge-Perücke auf, und Therese Affolter, die live und auf CD eine wunderbar ironische, geistvolle Jelinek-Leserin ist, schlägt hier einen eher kindischen Märchenerzählerton an, wenn sie als Struwwelpetra die deutsche Nacht beschwört. Überhaupt verhüpft das Ensemble den Text in einer Art 50er-Jahre Bedeutungs-Eurhythmie, für die der junge Peymann und seine Regiegeneration einst nur ein Hohnlachen übrig gehabt hätten. Alles wird da nur gestisch verdoppelt, nichts je ergründet: Ist vom Ruhm die Rede, reckt man Kinn und Hälse, fällt in einem Kleistschen „Penthesilea“-Zitat das Wort Schrei, dann wird es geschrien, auf „betasten“ folgt ein Betasten, „wächst“ die Zeit, dann steigt jemand eine Sprosse höher auf einer ins Nichts führenden Deko-Leiter, naht die Erwähnung eines Wolfs, so wird schon im voraus hündisch gehechelt. Und sind wir mal wieder „das Volk“ und „Helden“ dazu, dann zeigt man unterm Revers, als sei’s ein Geheimzeichen, die Buchstaben „DDR“. Wenn aber gar nichts mehr hilft, dann ziehen die Spieler schwarze Trauerclown-Gumminasen an oder rennen mit dem Kopf gegen die Wand. Dabei schütteln wir den Kopf, wollen’s kaum glauben: so viel Theaterei aus der Mottenkiste.

Jossi Wieler hatte „Wolken. Heim“ 1993 in Hamburg kongenial in einem verlassenen Wehrmachtsbunker spielen lassen, von sechs Actricen die sich in ihrem unterirdischen Wolkenheim als Fliegerwitwen entpuppten, als deutschnationale Geistesaufschneiderinnen, im toll trudelnden Sinkflug der Geschichte. Das war eine leibhaftige, schwarzkomische Gespenstergeschichte.

Im BE aber fehlt es für jegliche Geschichte an einem Erzählrahmen, an einem Ort. Kein Zwischenreich zwischen den Zeiten und Realitäten, kein Café Deutschland, kein Grandhotel Abgrund, kein absurder Wunderraum à la Marthaler & Viebrock. Nur eine Theatergruft, mit ein paar grünen Bauhelmen (nicht Stahlhelmen) als Zeichen: Kunststoff, Kunstgewerbe. Am Ende, im neuen, auch textschwachen zweiten Teil singen sie zur aktuellen Wirtschaftskrise: „Steht denn das alte Opelwerk noch?“ Antwort: „Ja, es steht noch.“ Mehr fällt dem Theater an diesem Abend nicht ein.

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