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Die Jahrhundert-Künstlerin Louise Bourgeois: Mit Räumen erzählen

Obsession und Protest: Das Münchner Haus der Kunst zeigt die „Cells“ von Louise Bourgeois in einer großartigen Ausstellung.

Sie war keine nette, alte Dame. Das bezeugen alle, die spät in ihrem New Yorker Hutzelhäuschen zu Gast sein durften. Louise Bourgeois ging in den Jahren vor ihrem Tod 2010 kaum noch nach draußen. Dafür hielt sie sonntags im Wohnzimmer Hof, begutachtete auf Wunsch die Arbeiten junger Künstler – und ließ alle spüren, wenn sie mit der Kunst unzufrieden war. Lob gab es selten, aber wie soll das auch gehen bei einer Künstlerin mit solch einem singulären, kompromisslosen Werk, wie Bourgeois es in den 99 Jahren ihres Leben geschaffen hat?

Die Besucher bekamen dennoch etwas mit, um das man sie in der aktuellen Ausstellung im Haus der Kunst beneidet. „Strukturen des Daseins: Die Zellen“ heißt die großartige Schau in München, die rund 30 der „Cells“ versammelt; so viele wie nie zuvor in einer Retrospektive. Es gibt winzige, kleine und größere Kammern voll mit Möbeln, historischem Medizingerät, Puppen, Kleidern oder Skulpturen, mittels derer Bourgeois ihre Geschichte(n) erzählt. Die Enge der künstlichen, oft aus alten Türen gezimmerten Architekturen, ihre manchmal klaustrophobische, häufig unheimliche Atmosphäre und das obsessive Arrangement persönlicher Gegenstände weisen viele Parallelen mit den Zimmern des realen Wohnhauses auf. So hat, wer einmal in Chelsea gewesen ist, einen ungleich tieferen Einblick in die Bezüge zwischen der Kunst und dem Leben von Louise Bourgeois.

Lange wurde Louise Bourgeois nur als die Frau ihres Ehemanns, eines Kunsthistorikers wahrgenommen

Dabei machte die 1911 in Paris geborene Jahrhundertkünstlerin nie einen Hehl aus der Verbindung. Ein Bekenntnis, das sie aus der von Männern dominierten Kunstwelt für lange Zeit ausschloss. Bourgeois wurde als Frau des prominenten Kunsthistorikers Robert Goldwater wahrgenommen, mit dem sie 1938 nach New York gezogen war. Ihre Zeichnungen und Gemälde setzten sich vordergründig mit der weiblichen Rolle in der Gesellschaft auseinander: Frauengestalten, die statt des Kopfes ein Haus tragen. Oder die „Personage“ betitelten Skulpturen, die sie aus farbigen Hölzern zusammenfügte und in einer frühen Ausstellung ohne Sockel direkt am Boden befestigen ließ – schlanke Stelen, die ihre in Frankreich gebliebenen Freunde symbolisierten. Sentimentale Kunst, die im intellektuell geprägten Klima der 50er Jahre unverstanden blieb. Dass Bourgeois die Häuser nicht bloß als Käfige, sondern auch als Schutzraum für den Kopf, das Geistige verstand, dass sich „Personage“ auch mit den Hochhaustürmen ihrer neuen Heimat und überdies den abstrakten, afrikanischen Figuren auseinandersetzte, für die ihr Mann Experte war, wurde erfolgreich ignoriert.

Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Vielzahl von Bourgeois' Installationen

Das Haus der Kunst breitet nun alles aus. Frühe Bilder und Skulpturen lassen ahnen, wie das beherrschende Thema immer mehr Fahrt aufnimmt. Eine kleine Tintenzeichnung von 1943 mit einer weiblichen Büste unter Glas erinnert daran, wie sehr die Künstlerin an ihrer Ehe hing und die kleine Familie trotz aller Demütigung tapfer zusammenhielt – obgleich ihr Mann sie offiziell betrog. Diese – von Louise adaptierte – Kränkung ist der Kern, die Urzelle ihrer Reflexionen häuslicher Beziehung. Jedes Detail der „Cells“ nimmt eine andere Episode wieder auf: Das unheimliche Bett in „Red Room (Parents)“ (1994) erzählt vom Sex der Eltern, „In an Out“ (1995) beschäftigt sich mit dem – angeblich weiblichen – Krankheitszustand der Hysterie, „Passage Dangereux“ (1997) vermittelt über eine Länge von Metern ganz subjektiv die Stationen der Adoleszenz.

Ein Teil der Zellen ist aus Draht und erlaubt wie ein Käfig den Blick von allen Seiten ins Innere, wo sich verknotete Figuren vor dem Spiegel drehen oder hauchdünne Kleider hängen. Andere sind aus Holz. Hier stehen Türen einen Spalt breit offen, sodass man bloß einen Blick in die sanft beleuchteten Kammern erhascht. Was zum intimen Charakter jener Inszenierungen passt, die immer nur von ein paar Besuchern angeschaut werden können. Dennoch bleibt es bei Bourgeois nicht bei der privaten Erzählung, die 1974 in „The Destruction of the Father“ gipfelt, einer auf den ersten Blick plüschigen, höhlenhaften Szenerie. Tatsächlich wird der Vater hier gerade verspeist. Trotz dieser eindeutig familiär bedingten Gewaltfantasien verhandelt die Künstlerin die großen Themen Geburt, Geschlecht, Eros und Tod. In komplexen, zutiefst sinnlichen Installationen.

Louise Bourgeois ist berühmt für ihre legendären Spinnen aus Bronze

Die Anerkennung dafür kam erst in den 80er Jahren. Ein großer Überblick im Museum of Modern Art (MoMA) würdigte Louise Bourgeois für ihre Inszenierungen. Vom Thema war sie kein Stück abgewichen, dafür blickten die Kuratoren anders auf die schonungslose Entblößung, die erotischen Anspielungen, die Unbeugsamkeit der Künstlerin. Nun war sie feministische Ikone, berühmt für ihre monströsen Spinnen aus Bronze, die ein bisschen Angst machen. In Wahrheit symbolisieren sie wieder die – soziale – Fäden spinnende, beschützende Mutter. Eine sitzt auf der Zelle „Spider“, in der ein kleiner Thron steht. Ein assoziativer Raum wie alle, die in den leicht abgedunkelten Sälen des Museums die volle Aufmerksamkeit fordern und einen dafür mit dem Gefühl entlassen, mit Louise Bourgeois noch einmal im unmittelbaren Dialog zu sein. Da braucht die alte Dame gar nichts zu sagen. Es genügt, wenn sie ans Ende der Ausstellung „Cell (The Last Climb)“ von 2008 stellt. Einen Käfig mit tiefblauen, schwebenden Glaskugeln. Und einer Treppe, deren fragile Stufen wie eine Himmelsleiter immer weiter ins Nichts führen.

Haus der Kunst, München, Prinzregentenstraße 1, bis 2. August

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