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Kultur: Die kalte Stadt

Schwierige Reise: Gianni Amelios „Hausschlüssel“

Für Kinder hat er schon immer ein Händchen gehabt. Für die jugendlichen Straftäter in „Gestohlene Kinder“ (1992), den bettelnden Albaner in „Lamerica“ (1994), und nun den 15-jährigen Paolo in „Hausschlüssel“. Sicherlich das älteste Kind von allen. Wahrscheinlich auch das ausgelassenste, liebenswürdigste, unvergesslichste. „Tetraplegisch gelähmt“ lautet der Krankheitsbegriff: Der Darsteller Andrea Rossi bewegt sich an Krücken. Diesen Jungen in den Alltag eines Filmdrehs einzufügen, ist ein Kunststück – für beide Seiten. Er hätte den Film nicht gedreht, hätte er nicht Andrea kennengelernt, hat Regisseur Gianni Amelio erklärt. Man glaubt es ihm sofort.

Paolo zu beobachten, wie er sich mit pubertärem Eigensinn gegen die ungeschickten Hilfsangebote seines Film-Vaters (sichtlich befangen: Kim Rossi Stuart) wehrt, wie er sich ganz in Musik oder seinen Gameboy vertieft und mit entschiedenem Selbstbewusstsein darauf beharrt, seinen Willen zu bekommen, ist wunderbar. Wunderbar vor allem, wenn bei ihm eine Fröhlichkeit, eine Leichtigkeit durchbricht, die den so ernsten, bemühten Filmstoff ad absurdum führt. Denn eigentlich ist „Hausschlüssel“, der 2004 im Wettbewerb in Venedig lief und nun, nach vielen Verschiebungen, doch noch in Deutschland ins Kino kommt, die schwer problematische Annäherungsgeschichte zwischen Vater und Sohn. Vater Gianni hat den behinderten Sohn nach dem Tod der geliebten Frau im Stich gelassen und plagt sich nun mit Schuldgefühlen; Sohn Paolo hingegen beobachtet die späten Annäherungsversuche mit berechtigtem Misstrauen.

Die gemeinsame Reise geht nach Berlin, in die Charité. Berlin ist ein Unglücksort: Vor dem (hässlichen) Hotelzimmer brausen die S-Bahnen, in der (hässlichen) Charité fühlt Paolo sich von strengen Ärzten drangsaliert, und am hässlichen Spreeufer sitzt Charlotte Rampling, auch sie spielt die Mutter einer behinderten Tochter, neben dem entnervten Gianni und lehrt ihn Geduld und Ergebung (unbedingt die Originalversion ansehen, sonst entgeht einem das subtile Sprachspiel zwischen beiden!). Trostlos ist Amelios Blick auf diese Stadt, trostlos in diesen Momenten auch der Film, der sich bieder und bemüht fortbewegt, als gehe das Drehbuch auf Krücken – zu wenig Mut zur Ausgelassenheit, wie zum Beispiel in Pago Bahlkes und Eike Besudens schönem, kleinen Film „Verrückt nach Paris“ von 2002. Erst eine Reise nach Norwegen bringt Erlösung: Die Krücke fliegt über Bord, Vater und Sohn liegen sich in den Armen. Eine unglaubwürdige Versöhnung.

Blow Up, Filmkunst 66, fsk (OmU)

Christina Tilmann

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