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Kultur: Die Kamera ist meine Fluchthelferin

Retrospektive in der Akademie: Wie die Fotografin Sibylle Bergemann zur Fantastin wurde

Frau Bergemann, Sie haben in der DDR Ihr Geld mit Modefotos verdient. Was ist wichtiger, die Augen eines Mannequins oder das, was es trägt?

Die Augen natürlich.

Selbstverständlich ist das nicht in einer Branche, die Kleidung verkauft.

Es geht auch um die Person, die diese Kleidung trägt. Gewiss, es ist etwas anderes, ob eine Frau Kittelschürze oder ein tolles Gebilde anhat. Doch die Augen machen den Unterschied aus. Ich finde, dass Models eine starke Persönlichkeit haben. Ich habe solche Fotos immer als Porträts begriffen.

Waren die Kollektionen der Kleiderkombinate so langweilig, dass die Interaktion mit dem Model das einzig Interessante war?

Jeder fürchtete sich davor, VVB-Produkte aufnehmen zu müssen, also Waren, die von volkseigenen Betrieben gefertigt wurden. Ich habe oft auf Mädchen zurückgegriffen, mit denen Männer nicht gerne arbeiteten. Mir lagen die Glatten und Schönen nicht. Ich brauchte es, aus diesen Frauen etwas, das man nicht auf Anhieb sah, herauszuholen. Models müssen sich mit dem, was sie anziehen, identifizieren. Das ähnelt der Schauspielerei. Es gibt eine Inszenierungsidee, und dann spinnt man sich ein.

Einspinnen?

Ja, in eine eigene Vorstellungswelt, die man wie ein Spieler ergründet.

Haben Sie sich damit auseinandergesetzt, dass Sie als Modefotografin zur Komplizin des Systems wurden und die Dinge schöner darstellten, als sie waren?

Natürlich war das ein Problem, aber das habe ich ja nicht gemacht. In meinen Arbeiten für die DDR-Zeitschrift „Sibylle“ ging es nicht um Verschönerung. Die Leserinnen sollten vielmehr informiert werden, was international vor sich ging. Wir hatten den Vorteil, dass es nicht um Geld ging und nicht ums Verkaufen. Wir hatten andere Probleme. Die Leute waren sauer, wenn Klamotten gezeigt wurden, die sie nicht kaufen konnten.

Haben Sie diese Vergeblichkeit des Konsumwunsches mitinszeniert?

Nicht bewusst. In der Mode geht es immer um Unerreichbarkeit.

War sie in der DDR deshalb eine subversive Kraft?

Wir haben ständig Ärger gehabt und versucht, die Chefredakteurin auszutricksen. Es gibt ein Foto, auf dem ein Mädchen in Badeanzug an einem Strandkorb lehnt und über die Schulter zur Kamera blickt. Ich wollte, dass sie böse schaut, um der Situation eine Brechung zu geben. Oft hieß es: „Sibylle, so sehen unsere Menschen nicht aus.“ Worauf unser Leitspruch lautete, „wir sind arm, aber sauber“, um uns nicht zu kompromittieren. Dabei habe ich gar nichts gegen lachende Menschen, aber es darf nicht aufgesetzt sein.

Waren Sie mit großer Entourage unterwegs, wie das bei Modestrecken üblich ist?

Ach wo, überhaupt nicht. Das Styling, die Haare, die Schminke hat alles die Redakteurin gemacht. Und wir brachten Kniestrümpfe, Schals und dergleichen mit.

Geht es Ihnen um Traumwelten, in die man vor der Wirklichkeit flüchten kann?

Da ist was dran.

Uns ist aufgefallen, dass sich durch Ihr ganzes Werk Zirkusmotive ziehen, die Welt der Gaukler, Artisten und Clowns ist ständig präsent. Ein Maskentheater. Haben Sie sich als Kind gern verkleidet?

Nicht besonders, höchstens, dass ich mal die Sachen meiner Mutter anzog. Ich wundere mich auch über meine Melancholie. Jahrelang habe ich mich dagegen gewehrt. Aber so ist es nun mal. Ich fühle mich von Maskeraden angezogen.

Sie wollten nie die Prinzessin sein, die man auf ihren Bildern oft auftauchen sieht?

Nein, das war ich nie.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich zunächst „nicht getraut“ haben, Menschen zu fotografieren. Haben Sie diese Scheu abstreifen können?

Im Gegenteil, es wird immer schlimmer. Wenn ich jemanden besuchen soll, um ein Porträt von ihm zu machen, hoffe ich immer, dass keiner da ist. Um erlöst zu sein. Aber sobald man es geschafft hat, eine Beziehung zu dem anderen aufzubauen und ein Bild zu machen, mit dem beide zufrieden sind, dann ist das schön.

Auf dem Sofa Ihrer Wohnung am Schiffbauerdamm, die Sie mit Arno Fischer teilten und zum Fixpunkt der Ostberliner Foto-Szene machten, saßen Cartier-Bresson, Robert Frank und Leute, die sehr realitätssatte Bilder machten. Während bei denen Nähe das Kriterium ist, spielen Sie mit der Distanz. Warum?

Dafür kann ich nichts.

In einem Umfeld, das stark von der Staatsdoktrin des sozialistischen Realismus durchdrungen war, fanden es viele verlockend, erst recht realistische Bilder zu machen. Sie nicht? br> Ich habe für Zeitschriften gearbeitet, das war immer ein Kompromiss. Auch war ich keine Widerstandskämpferin, obwohl der Abschnittsbevollmächtigte manchmal vor unserer Wohnung stand und fragte, ob hier ein illegales Nest sei. Ich widmete mich Randthemen, wie dem Dorf, an dem der Sozialismus vorbeigegangen war. In den letzten Jahren hat die Farbfotografie, die ich mir angeeignet habe, meinen Hang zum Fantastischen verstärkt.

Oft verhalten Sie sich nicht nur gegenüber Mitmenschen distanziert und fotografieren sie aus der Entfernung, die Welt selbst wirkt entrückt.

Ja, und ich habe nie verstanden, warum man aus einem Foto, das drei Menschen vor der Kulisse einer Plattenbausiedlung über einen Hügel klettern sieht, ein positives Bekenntnis ablesen konnte. Die Distanz wurde mir durch die hässlichen Häuser und durch Leute, die für einen DDR- Bürger absolut typisch aussehen, aufgezwungen. Das ist ein kritisches Bild.

Sie wollten mit dieser Welt nichts zutun haben?

Ja.

Die Kamera war Ihre Fluchthelferin?

Ich wollte jahrelang weg. Wobei ich Ostberlin, wohin ich mit 19 kam, in einer Art Hassliebe verbunden blieb. Es gibt diesen Satz, „die Reise zu sich selbst führt einmal um die Erde“. Ich wollte andere Länder und Kulturen kennenlernen. Danach, das wusste ich, würde ich wieder nach Hause kommen. Meine Flucht war eine innere. Das kapiere ich jetzt.

Das Gespräch führten Deike Diening und Kai Müller.

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