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Die Kessler-Debatte: Das Leiden der Arztkinder

Als Florian Kessler vor zwei Wochen in der „Zeit“ mitteilte, dass sein Weg in den Literaturbetrieb „durchlässig wie Badeschaum“ gewesen sei und sich in den Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim nur das „Bildungsbürgertum reproduziere“, mithin also Mittelschichtskinder säßen, die dann später öde Mittelschichtsliteratur verfassen, war man erst einmal sehr überrascht. Weniger weil Kessler mit seinem eigenen Herkunftsmilieu zwar selbstironisch, aber eben provozierend ins Gericht ging, sondern darüber, dass diese Schreibschulen tatsächlich weiter existieren, dass es überhaupt noch so etwas wie eine „junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur“ gibt.

Als Florian Kessler vor zwei Wochen in der „Zeit“ mitteilte, dass sein Weg in den Literaturbetrieb „durchlässig wie Badeschaum“ gewesen sei und sich in den Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim nur das „Bildungsbürgertum reproduziere“, mithin also Mittelschichtskinder säßen, die dann später öde Mittelschichtsliteratur verfassen, war man erst einmal sehr überrascht. Weniger weil Kessler mit seinem eigenen Herkunftsmilieu zwar selbstironisch, aber eben provozierend ins Gericht ging, sondern darüber, dass diese Schreibschulen tatsächlich weiter existieren, dass es überhaupt noch so etwas wie eine „junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur“ gibt.

Denn es war doch sehr still um diese geworden, und eigentlich ist es seit dem Niedergang der Popliteratur Anfang, Mitte der nuller Jahre so. Der Debütantenhype ist lange vorbei; mit Jugend allein verdient sich kein Blumentopf mehr. An den Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim wird solide Arbeit verrichtet, der eine oder andere Schriftsteller, die eine oder andere Schriftstellerin ausgebildet; ansonsten schlagen sich Ausbilder und Studierende seit Jahr und Tag mit Vorwürfen und Vorurteilen herum, Konfektionsware zu liefern, kaum Stimmen und Stile zu entwickeln, stets dasselbe hervorzubringen. Wovon man sich häufig in den Debüts oder Zweitbüchern überzeugen kann, und klar: Ausnahmen gibt es auch.

Man muss aber lange nachdenken, um auf einen Debütroman aus dem Leipziger-und-Hildesheimer-Schulen-Umfeld zu kommen, der alles andere aus einem Frühjahrs- oder Herbstprogramm überstrahlt, der für richtig Aufsehen gesorgt hat oder wenigstens als unbedingt zu lesendes Mussbuch gehandelt wurde. Vielleicht Clemens Meyer 2006 mit „Als wir träumten“? (Ja, Meyer, kein Arzt- und Pastorensohn, hat aber die Klassiker gelesen und studiert, wie er unermüdlich betont). Es gibt Open-Mike- und Ingeborg- Bachmann-Wettbewerbe, es gibt die Teilnehmer und Sieger, die häufig in Leipzig oder Hildesheim studiert haben, und dann gibt es Bücher, die in den Literaturteilen mehr pflichtgemäß als über die Maßen freudig besprochen werden. Um es zugespitzt zu sagen: Eine Helene Hegemann, eine Ju Innerhofer oder Bücher über das Wende-Nachwende-Techno-Berlin machen mehr her, selbst wenn sie stilistische Schwächen haben sollten.

Insofern muss man Florian Kessler gratulieren dazu, dass er Leipzig, Hildesheim und die junge deutschsprachige Literatur zurück auf die Agenda gebracht hat – es hat sich tatsächlich eine kleine Debatte entwickelt. Kessler hat in den Feuilletons seine Entgegnungen bekommen, und eigentlich stellt sich nur zu leicht fest, dass Milieus und die Güte und Qualität von Literatur nicht zwangsläufig korrelieren: Auch Arztkinder können „die Literatur mit abweichenden Stimmen und Erfahrungshintergründen anreichern“ (wie Kessler fordert). Umgekehrt ist der andere Erfahrungshintergrund, dieser literaturkritische Fetisch (Migration, Bürgerkrieg, Welt, Rock, Zweisprachigkeit etc.), nicht automatisch eine Gewähr dafür, aufregende, große Literatur zu produzieren (der Stoff reicht da der Literaturkritik in der Tat oft, über andere Schwächen wird gern hinweggeschaut).

Das Traurige an Kesslers Anstoß und dem folgenden und natürlich folgenlosen Debättchen aber ist, dass nicht über die (junge) Literatur an sich debattiert wird, sondern über die soziale Herkunft ihrer Produzenten und ob diese per se schon Bravheit und den Platz im Betrieb sichert. Ach herrjemine! Es steht nicht gut um die junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur (strengt euch an!), und weiterhin scheint der Tag fern, an dem Literaturagenturen und Verlage sich wieder um Debütantenbücher regelrecht balgen.

Wie der aus „allerbestem Hause“ stammende Thomas Klupp aber „inzwischen in der Nähe von Hildesheim unter letztlich neofeudalen Bedingungen, in einem hinreißenden klassizistischen Herrenhaus mit angeschlossenen Parkanlagen“ lebt, wie Kessler weiß, das würde man schon gern genauer erfahren. Ob es wirklich dieses Wohlbestallte ist, das Klupp daran hindert, nach seinem Debütroman „Paradiso“ (erschienen 2009) endlich einen Nachfolger vorzulegen? Wäre doch alles eine Geschichte wert.

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