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Kultur: Die Kleine mit dem Kuscheltier

Lustiges Norwegen: „Ich reise allein“.

Sie sind niedlich, ziemlich patent, zugleich sehr schutzbedürftig. Sie sind neun Jahre alt, heißen Addie wie in Peter Bogdanovichs „Paper Moon“ und dienen sich ihrem Wahl-Papa als Trickbetrügerkomplizin an. Sie sind elf und heißen Cleo wie in Sofia Coppolas „Somewhere“ und bringen ihrem seelisch reichlich vergammelt dahinlebenden Star-Papa das späte Erwachsenwerden bei. Oder sie sind acht wie in Til Schweigers „Kokowääh“ und sitzen plötzlich im Treppenhaus, mit einem Brief von Mama in der Hand. Inhalt: Das ist übrigens deine Tochter, kümmer dich mal um sie. Oder so ähnlich.

Das Kino liebt diese Geschichten: Männer, die auf Töchter starren – und gar nicht glauben mögen, dass sie schon ein paar Jahre Vater sind. Und an den vaterschaftsauslösenden One-NightStand erinnern sie sich schon mal gar nicht. Auch in „Ich reise allein“ des Norwegers Stian Kristiansen ist es ein Brief, der den 25-jährigen Jarle (Rolf Kristian Larsen) abrupt über seine Familienverhältnisse aufklärt. Und schon steht die sechsjährige Charlotte (Amina Bergrem) am Flughafen von Bergen – und sieht sehr niedlich, ziemlich patent und zugleich sehr schutzbedürftig aus.

Natürlich passt sowas auch Jarle keineswegs. Denn erstens macht er Party ohne Ende, zweitens gibt es da eine Art Freundin, und drittens wartet auf den irgendwie obertalentierten Literaturstudenten eine Karriere mindestens als Essayist in Sachen Proust, die er mit einem Großaufsatz in der örtlichen Morgenzeitung zu begründen gedenkt. Oder war die Reihenfolge der Hindernisse anders? Egal, es sind gleich drei fundamentale Hindernisse gegen die Aussicht, irgend so’n blöder Spießerpapa zu werden, und das ist schließlich die Hauptsache.

Nicht, dass diese Geschichte nicht hübsch anzusehen wäre. Die Kleine mit ihrem Kuscheltier namens „Humpelfinkel“, die in die laut Drehbuch neunzigerjahremäßig verwarzte Studentenbude einmarschiert, die tatsächlich eher siebzigerjahremäßig aussieht – an jene längst vergangene Epoche gemahnend, als Bücher noch schief und krumm auf Obstkistenregalen standen. Hübsch auch die Idee, den Supermarktkassiererinnenjob der leiblichen Mutter „proletarisch“ statt etwa „cool“ zu finden. Oder überhaupt diese norwegische Westküstenjugend, die bei maßlos viel atlantischem Sauer- sowie Bölkstoffgenuss geradewegs in eine ewige überzugehen scheint.

Aber dann stört doch das eine. Und das andere. Da ist das ungelenke Drehbuch, das die nächste Verwicklung stest aufreizend gemächlich anschiebt – und dann wieder Leute mit Abgangssätzen aus Szenen hinaustreibt, als spielten sie beim Tourneetheater. Und immer, wenn sich im alsbald mächtig knirschenden Arrangement eine Sekunde der wahren Empfindung ankündigt, gibt’s gleich zwei, drei Ausrufezeichen hinterher. Bis zur supersentimentalen Zielgerade, bei der nur noch eines hilft: Jetzt ganz doll an das Kino glauben! Jan Schulz-Ojala

In Berlin im Central, Kant, Kulturbrauerei, Moviemento und Union

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