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Kultur: Die Köpfe rauchen noch

Es ist ein Graus mit dem Pop. Einfach da ist er, und anscheinend doch nicht definierbar.

Es ist ein Graus mit dem Pop. Einfach da ist er, und anscheinend doch nicht definierbar. Taugt Pop immer noch als bloße Bezeichnung für eine universell volkstümliche, weil universell verständliche Spielart von Kultur, für simple Massenkultur mithin? Oder ist Pop längst ein undurchdringliches Zeichendickicht für Eingeweihte? Oder eine Sicht auf die Welt und ihre Oberfläche? Was also ist Pop, und was bedeutet für ihn der 11. September? Weshalb gibt es auf all die Fragen so inflationär viele Antworten, die wiederum bedauerlicherweise keinem Regelwerk zu gehorchen scheinen? Verwirrung allenthalben.

Diese und weitere Fragen zu Pop mussten mal dringend beredet werden, hat sich die Evangelische Akademie Tutzing wohl gedacht und am vergangenen Wochenende eine Tagung unter dem Titel "Pop - Das Esperanto der Gegenwartskultur?" veranstaltet. Ein prophetischer Titel, wie sich herausstellen sollte. Das semantische Gewirr war enorm an jenem stillen Ort am Ufer des Starnberger Sees, der seit der letztjährigen Tagung "Freiheit für die deutsche Literatur!" zu so etwas ähnlichem zu werden scheint wie dem Kaminzimmer des deutschen Popkultur-Palavers. Während im letzten Frühjahr aber Maxim Billers berüchtigte Tutzinger Rede von der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur, gemeint war vor allem die mit dem Präfix "Pop" im Namen, als "Schlappschwanzliteratur" einen ordentlichen Funkenflug verursachte, knisterte es in der Akademie diesmal eher behaglich vor sich hin.

Allzu präsent schien den Teilnehmern die implizite Drohung, die das Reden und Schreiben gerade über Popmusik stets grundsätzlich in Frage stellt: ob die Popkultur nicht eben nur für das ästhetische Erleben und augenblickliche Gebrauchen gemacht ist, ob das Sinnieren darüber nicht den Genuss als solchen bereits unmöglich werden lässt. Umso unangenehmer, dass nebenbei das Krisengerede nicht abreißen will. Pop hat nicht nur Absatzprobleme. Pop, so heißt es allenthalben, produziere seit einiger Zeit vor allem Erinnerungskultur. Das in der Popkritik durchaus gern benutzte Benjaminsche Diktum von der ewigen Wiederkehr des immer Neuen sei längst in eine Retro-Kultur der immer schnelleren Wiederkehr des immer schon Bekannten gekippt; der 11. September habe Pop überdies auch noch in eine grundsätzliche Legitimationskrise befördert, so er denn nicht nur Ablenkung von der Wirklichkeit darstellen wolle.

Alles Quatsch, sagte der Publizist Willi Winkler gleich zu Tagungsbeginn: "Pop kann gar nicht in der Krise sein, weil Pop auch ohne uns Beobachter funktioniert." Die Maschine Pop, so Winkler, sie läuft und läuft und läuft. Da bleibt der 11. 9. eher eine kurze Betriebsstörung. Aber, oh Schreck: "Die Krise des Pop besteht allenfalls darin, dass wir eine Tagung darüber abhalten." Also doch nicht drüber reden? Stimmt auch wieder nicht, meinte Deutschlands bekanntester Poptheoretiker Diedrich Diederichsen. Bloß kompetent müsse dies geschehen. Und so hob Diederichsen zum Abschluss der Tutzinger Tagung am Sonntag zur Feuilleton-Kritik an. Die angestammten Feuilletonisten hätten in den letzten Jahren eine weitgehend sinnfreie Debatte um die so genannte "Spaßkultur" geführt und Pop darin fälschlicherweise vermengt. Wenigstens sei in Gestalt junger, Pop-versierter Zeitungsredakteure Hoffnung in Sicht; da wurden die Wangen der zahlreich anwesenden Schreiber um die Dreißig ganz rosig, nur damit Diederichsen ihnen gleich noch einmal in denkbar komplexester Weise das Spiel vom Entstehen, Zerfallen und Aufgehen der Subkulturen im Mainstream einpaukte. Die Pop konstituierenden Subkulturen imitieren laut Diederichsen immerfort in ihrem Exklusivitätsbegehren die elitären Ausgrenzungsstrategien der bürgerlichen Hochkultur. Pop, so Diederichsen, sei deshalb eben gerade nicht das Esperanto der Gegenwartskultur, außer man betrachte jene Mischmaschsprache von ihrem Scheitern her, nicht von ihrer ursprünglichen Intention als Universalsprache: "Pop", sagte Diederichsen, "organisiert Unverständlichkeit als Attraktion."

Daher, so der nahe liegende Schluss, braucht es Übersetzer, muss also über Pop im Feuilleton geschrieben werden. Und auf Tagungen geredet. Aber warum bloß wieder derart kompliziert, seufzte darauf Ulf Poschardt, "Creative Director" der "Welt am Sonntag" und einer der eiligsten Drängler unter den Pop-Thirtysomethings, wenn es darum geht, den Mittvierziger Diederichsen auf dem Theorie-Thron zu beerben. Eine Antwort bekam Poschardt nicht mehr, die semantische Verwirrung war an ihr offizielles Tagungsende gelangt. So packten denn die Pop-Feuilletonisten ihre Koffer und fuhren heimwärts, um darüber zu schreiben, wie sie ein Wochenende lang über Pop und das Schreiben und Reden über Pop gesprochen hatten, ohne einen Moment lang Pop erlebt zu haben. Die geistige Verwirrung darob war ihnen anzumerken.

Dirk Peitz

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