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Kultur: Die Komplizin

Lämmlein und Rehböcke: Zwei Biografien erzählen vom Alltag Katia Manns

Thomas Mann war homosexuell, Hypochonder und Vater vieler Nachkommen, die ihm wenig Freude bereiteten. Katia Mann hingegen war eine patente Frau. Viel mehr ist dazu nicht zu sagen. Das belegen zwei neue Biografien, die bereits im Titel ahnen lassen, um wen es geht: „Frau Thomas Mann“ von Inge und Walter Jens und „Die Frau des Zauberers“ von Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck.

Beide Bücher erzählen vor allem vom häuslichen Tratsch und Klatsch. Thomas Mann war, das wissen seine treuesten Leser, ein sehr ironischer Mensch, und ein Libertin – liederlich nur im Geiste allerdings, denn in den Fragen des praktischen Lebens war er sehr auf Solidität bedacht. Da passte es gut, dass Katia Mann einer der angesehensten Münchner Familien entstammte: eine Pringsheim, bestes jüdisch-deutsches Bildungsbürgertum, und reich, was Thomas Manns angeborenem „fürstlichen Talent“ zum Repräsentieren in jeder Weise entgegenkam – obwohl die Schwiegereltern ihn keineswegs mit offenen Armen empfingen. „Sie haben mich nie gemocht“, konstatierte der greise Thomas Mann verbittert, „und ich sie auch nicht.“

Die Werbung um Katias Hand verlief dennoch erfolgreich, zumal der angehende Großschriftsteller eine „unglaubliche Initiative“ und Penetranz entwickelte, was den Schluss nahe legt, dass Katia ihr Jawort nur gab, weil sie ihre Ruhe haben wollte – und Kinder. Von leidenschaftlicher Liebe konnte also keine Rede sein, auf beiden Seiten nicht, eher von einer Komplizenschaft der Entsagung. Thomas Mann betrachtete die Ehe als „Lebensbefehl“, Katia Mann wiederum resignierte vor dem Umstand, dass sie irgendwann irgendwen doch würde heiraten müssen. Und sie wollte eine große Familie, also wurde in rascher Folge gezeugt. Bei jeder dieser Geburten durchlitt Thomas Mann Nervenkrisen und wurde bettlägrig, zuviel der Aufregungen. Höhepunkt waren die Monate März bis Juni 1915: „Allen Kindern und der Mutter muss der Blinddarm entfernt werden, bei Klaus besteht wochenlang Lebensgefahr.“ Bei einigen Millionen Soldaten in diesen Jahren auch.

Aber während der Vertrag von Versailles die zwischenstaatlichen Konflikte kurzzeitig befriedete, hielt die Krise im Haushalt Mann an. Zwar bestand von nun an kein Mangel mehr an verarmten bürgerlichen Witwen, die willens waren, als Haushaltshilfen zu arbeiten – dennoch blieb Desertion die Regel. „Neue Kündigung aller Dienstboten. Ekel und Haß auf das nichtswürdige Gesindel“, notierte der Hausherr.

Das tägliche Leben der Familie Mann kann ohne weiteres als Komödie erzählt werden, trotz der widrigen Zeiten. Am nervenaufreibendsten waren letztlich immer der Ärger mit den Dienstboten und die logistischen Anstrengungen, den umfänglichen Hausrat unversehrt in die jeweils neue Villa zu retten. Hinzu kamen die wechselnden Befindlichkeitsstörungen des Ehepaares: „Recht schlechter Darm“ bei beiden, sei es in Form peinigender Verstopfungen oder, kompensatorisch, als gewaltsamer Stuhlgang; zunehmende Korpulenz bei ihr; Ischiasschmerzen bei ihm, die selbst mit dem elektrischen Bügeleisen kaum noch zu lindern sind.

Und schlimmer als das alles: die zunehmende Lethargie der Wahrnehmung. Die genüssliche Seelenpein angesichts keck befrackter Kellnerknaben verschränkte sich mit dem Dilemma der Ehe: der Verödung des Sexualtriebes zugunsten der Hypertrophie des Kosewillens. „Häsin“ nennt er sie, oder noch keuscher „Lämmlein“, und seufzt resigniert in sein Tagebuch: „Meine Dankbarkeit für die Güte in ihrem Verhalten zu meiner sexuellen Problematik ist tief und warm.“ Und mit nachlassendem Elan notiert er solitäre nächtliche Erektionen, „bis das Gemüt schließlich nur noch bewegt wird vom Anblick schöner Hunde“.

Und Katia, hat sie ihn dennoch geliebt, ihn vermisst, wenn sie in Kuren Erholung von der Familie suchte? Ja, sie hat. Das belegen fünfzehn Briefe, die neuen Aufschluss geben über die Intimität des Ehepaars Mann, denn die brieflichen Anreden „Liebes Lamm“ und „Liebster Rehbock“ deuten „auf Zuneigung und Vertrautheit hin“, so das kaum mehr waghalsige Fazit von Inge und Walter Jens.

Die Fleißarbeiten der Thomas-Mann-Forschung aber lassen den Leser verwirrt zurück. Wozu wird das alles erzählt? Um der Anekdote willen, so scheint es, und da bietet Katia, die Zerstreute, Gesprächsstoff zuhauf. Sei es, dass sie Niveacreme auf ihre Zahnbürste drückte oder der Todessehnsucht ihres Mannes durch gewagte Überholmanöver Vorschub leistete. Als sich die Kollisionen häuften und der greise Starrsinn die Einsicht in ein geregeltes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer gänzlich vereitelte, machten die Schweizer Behörden dem ein Ende.

Bis auf den Führerscheinentzug konnte Katia Mann also ein positives Fazit ihres Lebens ziehen: „ ... viele Villen eingerichtet, Kochtöpfchen installiert, Schlafröcke verschenkt, in vielen Büchern erwähnt worden: ich komme zu sehr guten Ergebnissen, und dabei verschweige ich noch die wichtigsten Dinge.“ Was den Leser neugieriger macht als die Biografen, denn die stellen keine Fragen. Das schwächt diese Erzählungen von Katia Manns Leben, denn das eigentlich Tragische wird in beiden Büchern gar nicht erst Thema: Katia Mann überlebte ihren Mann um 25 Jahre – und wusste nicht wozu: „Ich bin rüstig und lebe nicht gern.“

K. Jüngling/B. Roßbeck: Katia Mann. Die Frau des Zauberers. Propyläen Verlag, 360 S., 22 € – I. und W. Jens: Frau Thomas Mann. Rowohlt Verlag, 352 S., 19,90 €

Heute abend, 20 Uhr, stellen Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck ihr Buch in der Kulturbrauerei vor. Es moderiert Sigrid Löffler.

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