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Kultur: Die Kräfte, die da walten

Die Leipziger Buchmesse geht heute zu Ende

Günter Grass befindet sich auf einem Rachefeldzug. Im Kriegszustand mit den Medien. Man muss das wohl so nennen, hört man sich an, zu welcher Wortwahl Grass bei seinen Auftritten während dieser Leipziger Buchmesse greift. Von „gleichgeschalteten Medien“ spricht er, von einer „Entartung des deutschen Journalismus“ gar, von „Totschlägerstimmung“, vom Versuch der Medien, ihn „mundtot“ zu machen. Es ist traurig und schade, wie hier ein ja nicht kleiner Schriftsteller sich so selbstgerecht gibt, so bar jeder Selbstkritik, deren Fehlen er in den „Redaktionsstuben“ landauf, landab beklagt – ohne auch nur einen Beleg dafür anführen zu können, dass ihm wirklich Unrecht angetan wurde. Dem Erfolg seines allein aus therapeutischen Gründen geschriebenen Gedichtbands „Dummer August“ dürfte das keinen Abbruch tun. Schlimmer als all das aber ist, dass Grass sich gerade mit einem Wort wie „entartet“ in das Nest zurückbegibt, in dem er als junger Mensch gelandet ist und worüber er lange nur ach so pein- und schamvoll schweigen konnte.

Man ist dann ganz erleichtert darüber, dass so eine Messe auch immer ein großes, vielstimmiges Rauschen darstellt und schon einen Stand weiter eine noch erfrischend ungezwungene Autorin sitzt: Andrea Maria Schenkel, Debütautorin des seit vier Wochen an der Spitze der Bestsellerlisten stehenden Heimatkrimis „Tannöd“. Schenkel plaudert über ihren Lieblingsfüller genauso wie über ihre Detektivromanversuche als junges Mädchen; sie gesteht ihre Verblüffung darüber, plötzlich Bestsellerautorin zu sein genauso, wie sie jedes noch so feine und kleine Detail über die Konstruktion ihres Romans verrät.

Wie Schenkel da so in ihren schwarzen Klamotten und den altmodisch hohen braunen Schnürstiefeln auf dem Sofa eines Fernsehsenders sitzt, erinnert sie im Outfit an die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz, die im Leipziger Grassi-Museum den neuen Suhrkamp-Imprint „Verlag der Weltreligionen“ gewohnt raunend vorstellt. Eine gute Idee, diese Reihe. Mit gleich 17 Titeln wird sie im September gestartet, mit Büchern etwa über die Mischna, die Lehre des rabbinischen Judentums, oder den Bekenntnissen des Augustinus. Flankierend hinzu kommen Essays von Suhrkamp-Größen wie Ulrich Beck, Giorgio Agamben oder Peter Sloterdijk. Schon weniger gut klingt, wie Unseld-Berkéwicz die Reihe ankündigt: „Die Kräfte, die wir nicht messen können, walten weiter!“

So einen Satz unterschreiben würde sicher ein Mann wie Udo Ulfkotte, Ex-„FAZ“-Redakteur, Terrorexperte und Buchautor. Sein neues Buch heißt „Krieg in Europa“ und stemmt sich kraftvoll gegen die in Europa waltenden Kräfte der Muslime. Genauso kraftvoll gibt sich Ulfkotte selbst. Aufgepumpt, leicht bullig wirkend und nicht frei von Fanatismus reiht er bei seiner Buchvorstellung Beispiel an Beispiel, wie unsere demokratische Freiheit von der Muslimbruderschaft unterwandert wird: von den Klos, die in englischen Gefängnissen nach Mekka ausgerichtet werden, über die Polygamie bis zu den angeblich verschiedenen Eingängen an zwei Berliner Schulen für Christen und Muslime. „Was soll das?“, fragt Ulfkotte dazwischen immer wieder und höchst erregt, „Sagen Sie mir: Wie kommt das zustande?“

Eine Antwort darauf hätte vielleicht Wolf Biermann, der auf alles eine Antwort hat, sei es auf die Grass-Problematik, sei es zu Fragen der Weltrevolution. Am meisten aber steht Biermann mit sich selbst im Diskurs, mit seinen Leistungen, seinen neuen Gedichten, die er unerträglich eitel vorstellt, sich immer wieder in eine Reihe stellend mit Shakespeare, Rimbaud oder Heine. Dass Biermann auch auf die Posse um seine Berliner Ehrenbürgerwürde eingeht – allerdings ohne die anderenorts geäußerte, wüste Beschimpfung der Berliner SPD –, versteht sich von selbst. Die Leipziger Buchmesse mag heute zu Ende gehen: Die Biermann-Show geht weiter. Morgen verleiht ihm im Roten Rathaus Klaus Wowereit die Ehrenbürgerwürde, „auf Büttenpapier, mit Goldrand“.

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