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Kultur: Die Kraft des Misstrauens

Nordirland-Thriller: „Shadow Dancer“.

Als die IRA-Terroristin Colette (Andrea Riseborough) beim Deponieren einer Bombe in der Londoner U-Bahn geschnappt wird, stellt der MI5-Agent Mac (Clive Owen) sie vor die Wahl: entweder für 25 Jahre ins Gefängnis zu gehen und ihren kleinen Sohn nie wiederzusehen. Oder als Informantin ihre Brüder Gerry (Aidan Gillen) und Connor (Domhnall Gleeson) zu bespitzeln. Colette entscheidet sich für die Kooperation und kehrt aus London nach Belfast zurück, in ein Leben aus Lügen, Verrat und der ständigen Angst vor Enttarnung.

Schon 2006 hat Ken Loach in seinem Cannes-Gewinner „The Wind that Shakes the Barley“ eindrücklich geschildert, wie gegenseitiges Misstrauen und der ständige Richtungsstreit um Militanz und Kompromissbereitschaft in der Frühphase des Nordirlandkonflikts Familien auseinanderreißt und Brüder zu Feinden macht. Die Handlung von „Shadow Dancer“ ist rund 70 Jahre später angesetzt, in den frühen Neunzigern, als der Konflikt bereits am Abklingen ist, doch die inneren Spannungen sind noch immer dieselben.

Inzwischen ist sich allerdings auch die Gegenseite uneins. Das Geheimdienstsystem mit seinen V-Leuten und verschiedenen Vertraulichkeitsebenen schürt ein Klima der Paranoia nicht nur beim Gegner, sondern auch in den eigenen Reihen. So bestehen beide Lager aus Einzelkämpfern, die niemandem vertrauen können. Als Mac feststellt, dass der MI5 Colette nicht den Schutz bietet, den er ihr zugesichert hatte, dämmert ihm, dass sie beide womöglich nur Teil eines größeren Plans sind.

Tom Bradby, der das Drehbuch auf der Basis seines gleichnamigen Romans schrieb, arbeitete Anfang der neunziger Jahre als Fernsehkorrespondent in Irland, und seine genaue Kenntnis des Konflikts zeigt sich in den Details. Wenn etwa die Beerdigung eines IRA-Kämpfers, vor den Augen der Polizei auf der einen und der Trauergemeinde auf der anderen Seite, in einen paramilitärischen Salut umschlägt, erscheint die jahrzehntelange Auseinandersetzung als ein endloses Spiel aus Provokationen und chauvinistischem Stolz.

Regisseur James Marsh, der für seinen großartigen Dokumentarfilm „Man on Wire“ einen Oscar gewann, erzählt in „Shadow Dancer“, der 2012 auf der Berlinale lief, mit einem hervorragendes Darstellerensemble eine spannende Geschichte. Die Isolation, in die die zersetzende Kraft des Misstrauens die Charaktere zwingt, drückt er mit einer Kamera aus, die die Figuren mit Vorliebe von hinten oder aus einiger Entfernung ins Bild fasst. Das erzeugt jedoch auch einen Abstand zu den Figuren: Sie erscheinen sich nicht nur gegenseitig rätselhaft und undurchschaubar, sie bleiben es letztlich auch fürs Publikum. Die emotionale Wucht, die in der Geschichte um Loyalität und Verrat angelegt ist und die etwa „The Wind that Shakes the Barley“ zu einem kaum zu ertragenden Erlebnis machte, bleibt in „Shadow Dancer“ wegen der distanzierten Erzählhaltung leider auf der Strecke. David Assmann

Central Hackescher Markt, fsk Kino (beide OmU)

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