zum Hauptinhalt

Kultur: Die Kumpels von der Kultur

Was fällt einem spontan ein, wenn man an den Kohlebergbau denkt? Massenentlassungen, staatliche Megasubventionen, Bedrohung der heimischen Produkte durch billige ausländische Anbieter?

Was fällt einem spontan ein, wenn man an den Kohlebergbau denkt? Massenentlassungen, staatliche Megasubventionen, Bedrohung der heimischen Produkte durch billige ausländische Anbieter? Und welche Schlagworte stürmen das Hirn, wenn man an die deutsche Kulturlandschaft denkt? Genau dieselben? Dann geht es Ihnen wie Herrn Ehmann.Werner Ehmann ist Wirtschaftsexperte und hat für den brandenburgischen Kulturminister Steffen Reiche ein Gutachten erstellt, in dem er vorschlägt, das Kleist-Theater in Frankfurt an der Oder zu schließen, die Brandenburgische Philharmonie Potsdam abzuwickeln und die Opernsolisten und Chorsänger in Brandenburg an der Havel zu entlassen.Begründung: Die Kultur in Deutschland funktioniere nun einmal wie der Kohlebergbau.Und zwar so: "Jeder weiß, daß der Output qualitativ besser und finanziell günstiger durch Ankauf gesichert werden könnte.Jeder weiß, daß der Zuschußbedarf in Höhe der Personalkosten liegt.Es wird rationalisiert und rationalisiert, aber ohne die Chance, jemals wettbewerbsfähig zu werden.Niemand ist wirklich glücklich." So schreibt Ehmann im nichtöffentlichen Teil seines Gutachtens und meint damit Kunst wie Kohle - frei nach Sokrates: Die deutsche Kulturlandschaft arbeitet nach dem Prinzip des Kohlebergbaus.Der Kohlebergbau ist unrentabel.Also ist auch die deutsche Kulturlandschaft ist unrentabel.Vor allem im brandenburgischen Braunkohlerevier.Und wenn der Heizwert nicht heraufgeschraubt werden kann, dann muß eben die Produktion gedrosselt werden.

Verehrte Kohlekumpel, lieber Herr Ehmann! Hochkultur ist wie der Tagebau: ohne finanzielle Unterstützung vom Staat kaum denkbar.Oft muß man tief graben, im Hirn, im Herz, um auf abbaubares Material zu treffen.Am deutschen Stadttheatersystem hängen abertausende Arbeitsplätze.Es gibt viele Anbieter, vor allem aus dem ehemaligen Ostblock, die ihre Kultur zu Dumpingpreisen anbieten.Und doch hinkt das Gleichnis: Denn Kultur ist kein Rohstoff, mit dem ein Land mehr oder weniger gesegnet ist, Kultur ist kein Naturprodukt, das geduldig darauf wartet, abgebaut und zur Anhebung des Lebensstandards in Wärme, Energie oder Treibstoff umgewandet zu werden.Kultur ist das, was die Menschen brauchen, wenn die Kohle abgebaut, das Auto verkauft, die Kuh gemolken, das Computerprogramm eingerichtet ist.Kultur läßt sich nicht in Steinkohleeinheiten messen.Wenn sie nicht da ist, geht zwar nicht die Heizung aus, aber es wird kälter.Gerade in sozialen Problemgebieten wie Brandenburg muß Kultur mehr sein als nur ein "Wellneßcenter der Sinne", das gestreßte Manager zum Nickerchen in geplegtem Ambiente nutzen.Brandenburg braucht keine Opernevents, sondern Basiskultur.Denkanstöße für orientierungslose Jugendliche, Ermutigung für resignierte Arbeitslose, Treffpunkte für einsame Alte.Stadtteilkultur würde man in Berlin sagen: Bibliotheken, Musikschulen, Kulturhäuser, kommunale Kinos, Freizeitzentren.Nur wenn die Soziokulturarbeit funktioniert, kann überhaupt Publikum für die Hochkultur heranwachsen.Sonst florieren weiter Funparks und Privatfernsehen, deren einziges Ziel es ist, Kohle aus den Portemonnais jener Mitglieder der Freizeitgesellschaft abzubaggern, denen keiner gezeigt hat, daß selber denken viel mehr Spaß macht als Konsumieren.Andererseits: 1998 hat das Bundeswirtschaftsministerium 8,7 Milliarden Mark Subventionen für den Kohlebergbau spendiert.Wenn die deutsche Kulturlandschaft dem Abbau des "schwarzen Goldes" wirklich so ähnlich ist, müßte auch hier der Gleichbehandlungsgrundsatz gelten.Also: Her mit der Kohle!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false