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Kultur: Die Kunst der Fuge

Mit einer Architektur dynamischer Raumdurchdringung wird belohnt, wer sich auf den Weg zu den neuesten Bauten der Berliner Architekten Georg Augustin und Ute Frank begibt.Von einem zum anderen Ende Berlins, von Staaken nach Karlshorst führt die Reise, von der ausufernden Peripherie zu einem nur allmählich wiedererblühenden Villenvorort.

Mit einer Architektur dynamischer Raumdurchdringung wird belohnt, wer sich auf den Weg zu den neuesten Bauten der Berliner Architekten Georg Augustin und Ute Frank begibt.Von einem zum anderen Ende Berlins, von Staaken nach Karlshorst führt die Reise, von der ausufernden Peripherie zu einem nur allmählich wiedererblühenden Villenvorort.In Staaken schiebt sich eine Kindertagesstätte als eine seltsam janusköpfige Schachtel zwischen die Reste eines märkischen Dorfes und einer neuen Siedlung.In Karlshorst entstand gegenüber der S-Bahnstation ein Büro- und Geschäftshaus, ein mächtiger Monolith, der sich seiner wilhelminischen Umgebung mit befremdend scharfen Kanten entgegenstemmt.

Zwei Fremdkörper sind beide nur auf den ersten Blick.Trotz ihrer unaufdringlichen, fast minimalistischen Architektursprache erzählen sie sehr beredt vom Ort und dessen Gebrauch.Kaum mehr wahrgenommene Übergänge und Grenzen machen sie bewußt, die vielfältige Zwänge mit überraschender Virtuosität zu überwinden wußten.Denn denkbar ungünstig war ihrer beider Ausgangssituation.

So hatten sich in Staaken die Investoren eines neuen Wohnparks zwar zum Bau einer öffentlichen Kita mit 1100 Quadratmetern verpflichtet, doch dafür nur eine sehr schmale Restfläche von 70 mal 25 Meter reserviert.Einerseits befand sich die Parzelle in Sichtweite eines Dorfes mit ausgedehnten Gärten und Streuobstwiesen, andererseits am Rande einer dichten Neubausiedlung mit viergeschossigen Zeilenbauten und Reihenhäusern.Allein ein kompaktes dreigeschossiges Gebäude konnte hier die verlangten Nutzflächen schaffen.

Augustin und Frank teilten ihren 50 Meter langen Riegel in zwei Hälften und orientierten deren Gruppenräume von Hort und Kita einmal nach Westen, einmal nach Osten.Quasi punktsymmetrisch von der zentralen Erschließungshalle gespiegelt, entwickelte sich daraus ein Haus, das nun auf jeder Seite zwei sehr verschiedene Fassadenhälften besitzt.Alle Nebenräume, wie Bäder, Büros oder Fluchttreppenhäuser reihen sich dazu hinter einer nahezu geschlossenen Wand auf - einer Wand, deren wechselnde Brüstungshöhen und Fensterformate die unterschiedliche Nutzung der Räume durch Kinder oder Erwachsene visualisiert.

Rauh und grau, fast archaisch wirkt deren Außenhaut aus überlappenden Faserzementplatten, die im harten Streiflicht reizvolle grafische Qualitäten entfalten.Als beschützende Haut umfassen die Platten auch die Stirnseiten des Hauses, deutlich abgesetzt von den ganz anders gearteten, fast fragilen Oberflächen der leicht zurücktretenden Gebäudehälften.Dort, vor den Gruppenräumen, öffnet sich das Haus mit zwei sehr abwechslungsreich gestalteten Raumschichten, einer inneren mit großformatigen Festverglasungen, Fenstertüren und rötlich lasierten Sperrholzflächen und einer äußeren mit grazilen stählernen Balkonbändern und Stützen, die den Kindern zusätzliche Freiräume bieten.

Mit dem freien Rhythmus der Fenster und gegenläufigen Stützen wird bewußt der rechte Winkel verlassen, die dominante Rechtwinkligkeit des Riegels gleich mehrfach aufgebrochen.Diagonal wird das Gebäude von der westlichen Straßenseite erschlossen, wo der Eingang zurückweicht, um einem kleinen Vorplatz viel Raum zu schaffen.Schräg schreiben sich die gebäudehohe Erschließungshalle und deren leicht versetzte Treppen in den Binnenraum ein.Und schräg weicht in den folgenden Korridoren jeweils eine Wand zurück, um die Korridore zu den Kopfräumen hin zu verjüngen, so daß sich nun in ihnen nicht nur die Wege perspektisch verkürzen, sondern auch die abnehmende Nutzungsfrequenz leicht ablesen läßt.Ein sehr unaufdringlicher Solitär mit vielfältigen Zwischenräumen entstand dergestalt in Staaken, der seiner zentrifugalen Umgebung eine unerwartet starke Mitte schuf.Im Westen an die Grenze der bebaubaren Fläche gesetzt und damit weit aus der Flucht der benachbarten Wohnbauten gekippt, entfaltet er gegenüber deren allzu privaten Wohnidylle eine Art "Widerstand des Öffentlichen".

Diese Widerständigkeit teilt das Gebäude mit dem Monolithen von Karlshorst.Dort sollte ursprünglich eines jener modernen Shop-in-Shop-Kaufhäuser entstehen, das dann aber mangels Nachfrage zu einem Bürohaus mit kleiner Ladengalerie umgeplant wurde.In nur neun Monaten entstand an der Stelle eines früheren "Konsums" ein Haus, das sein Grundstück maximal überbaut.Zwischen der höheren Mietshausbebauung der Treskowallee und den weit niedrigeren Villen der Seitenstraßen fand es zu einer verblüffenden Gestalt.Wirkt das Haus mit fünf Geschossen zur Bahnstation hin überaus kompakt, so entpuppt es sich an seiner Rückseite als ein dynamisch gefalteter Dreikant über einem zweigeschossigen Sockel, der allein das ungleichmäßige Eckgrundstück einnimmt.

Dynamisch ist auch die Gestalt des Dreikants zur Bahnhofskreuzung hin, wo seine beiden Schauseiten in spitzem Winkel aufeinandertreffen und sich über dem zweiten Geschoß große querliegende Kastenfelder nicht nur tief und versetzt in den mit grauem Sandstein verkleideten Körper einschneiden, sondern sogar die Ecken umgreifen.Mit ihren rötlichen Sperrholzlaibungen, mit Rohaluminiumrahmen und breiten Glaslamellen verleihen sie dem Gebäude im Wechselspiel mit dem Streifenpatchwork der grauen Steinplatten eine nach Licht und Wetter changierende Tiefe und Transparenz, die sich im Innern in unterschiedlichen Raumsituationen fortsetzt.Allein die kleine Ladengalerie vermag nicht zu überzeugen, die sich nun unscheinbar und verwinkelt durch das Erdgeschoß zieht.

Die Fuge - das ist das Thema der Berliner Architekten Georg Augustin und Ute Frank in Staaken sowohl als auch in Karlshorst.Wandlungsreich gefaßte Zwischenräume, die im auseinanderfließenden Stadtgrundriß klare Grenzen ziehen und neue Übergänge herstellen, die Begegnung und Durchdringung erlauben.Es ist eine klar lesbare Architektur - eine, die auffällt, aber sich nicht aufdrängt, die sich aus ihren Binnenräumen heraus entwickelt und mit einer Vielfalt von Materialien ihre unterschiedlichen Nutzungen nach außen hin ausdrückt.

CLAUS KÄPPLINGER

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