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Kultur: Die Kunst des langen Atems

Frau Limbach, wenn Sie heute Abend Zeit hätten, würden Sie ins Theater gehen oder in die Oper? Oder lieber ein Buch lesen?

Frau Limbach, wenn Sie heute Abend Zeit hätten, würden Sie ins Theater gehen oder in die Oper? Oder lieber ein Buch lesen?

Ich würde ins Theater oder in die Oper gehen. Belletristik lese ich meistens nach dem Aufstehen.

Sie fangen den Tag mit Romanen an?

Ich habe mir das angewöhnt, als ich Justizsenatorin in Berlin war. Ich hatte den Eindruck, dass die Politik micht auffrisst. Deshalb stehe ich eine Stunde früher auf, um morgens eine Stunde zu lesen. Das tut gut. Ich bin allerdings eine leidenschaftliche Frühaufsteherin! Zur Zeit lese ich gerade „Faserland“ von Christian Kracht.

Sie sind Juristin. Ist Ihnen unter den Künsten die Literatur am liebsten?

Ich gehe auch gern ins Theater, ins Konzert und in die Oper. Hinzu kommt das Kino. Wahrscheinlich versteht das nur jemand, der in Berlin Mitte wohnt: Mein Lieblingskino ist die „Börse“, wo zu DDR-Zeiten Filme für die Verleiher gezeigt wurden und heute viele Defa-Filme laufen. Dieses Kino ist wie ein größeres Wohnzimmer und gleichzeitig ein anspruchsvolles Kulturkino.

Wie ist es zu Ihrer Berufung gekommen? Hatten Sie bereits vorher Kontakte zum Goethe-Institut?

Als Berliner Senatorin bin ich das erste Mal , mit Julia Dingworth-Nusseck und Eva-Maria von Münch für Goethe nach Tokio und Seoul gereist. Dort haben wir mit Japanerinnen und Koreanerinnen über Gleichberechtigung gesprochen. Und in Stockholm habe ich einen Vortrag über das AWACS-Urteil gehalten: über den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Friedensmissionen. Darüber war im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gerade die erste Entscheidung meiner dortigen Amtszeit gefallen. Als dann aber die erste Anfrage kam, war ich völlig erstaunt, sagte aber schon beim ersten Telefonat: Ja, das finde ich eine reizvolle Aufgabe! Mir wurde auch gesagt, dass man gerne eine Frau zur Präsidentin haben wollte. Außer mir waren noch einige andere Frauen im Gespräch. Es gab bei mir auch noch eine andere Motivation: Seit zwei Jahren beschäftigte sich das Goethe-Institut verstärkt mit dem Thema Menschenrechte. Hier ging es nicht allein um den gerichtlichen Grundrechteschutz, sondern auch um Themen wie Umwelt und soziale Rechte. Da dachte ich: Eine Institution, die den Kulturbegriff so weit fasst, dass er auch Rechts- und Verfassungskultur einschließt – das könnte mich reizen.

Bei Gegnern und Befürwortern der Globalisierung wächst ein Bewusstsein darüber, dass neben universellen Wirtschaftsentwicklungen auch ein universelles Bewusstsein von Rechten entsteht.

Ja, die Globalisierung läuft zwar weitgehend im Bereich der Wirtschaft, aber wir haben Schwierigkeiten, auf politischer und sozialstaatlicher Ebene Schritt zu halten. Dieses Thema stellt sich nicht nur den Goethe-Instituten in Westeuropa, sondern auch denen in Ost- und Mitteleuropa.

Eine der kniffligsten Fragen in der Kulturarbeit lautet: Wieviel Offenheit für das Anders-Sein der Gastländer hat man, wo ist die Grenze von Toleranz?

Diese Diskussion hat es im Goethe-Institut immer schon gegeben. Schließlich liegt darin das Kernproblem von Multikulturalität. Im Kulturaustausch geht es auch darum zu vermitteln, dass wir zwar in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung leben, dies aber verbindliche Grundwerte nicht ausschließt. Das reicht vom Bekenntnis zu den Menschenrechten und der Unantastbarkeit der Menschenwürde bis zum Schutz des Lebens. Wenn man wie wir hier in der Bundesrepublik mit 3 Millionen Muslimen zusammen lebt, muss man auch die Grenzen der Toleranz deutlich machen. Denken Sie beispielsweise an das Schächtungsgesetz oder die Beschneidung von Mädchen. Oder die Frage der Gleichberechtigung der Frau, die ja in anderen Religionen durchaus anders gesehen wird. Gleichzeitig wird es nicht immer möglich sein, in Ländern des Nahen Ostens über das Thema multireligiöse Gesellschaft zu sprechen. Zu leicht wird uns eine missionarische Absicht unterstellt.

Sollte das Goethe-Institut nicht auch bei innerdeutschen Debatten wie dem Streit um antisemitische Äußerungen Stellung beziehen?

Ja, das müssen wir. Unsere Mitarbeiter werden gefragt: Wie halten es die Deutschen eigentlich selbst mit den Menschenrechten? Wie kann es sein, dass Menschen aufgrund ihrer nationalen Identität, ihrer Religionszugehörigkeit und ihres Studienfachs in die Rasterfahndung nach Terroristen geraten?

Gibt es eine Tendenz zur stärkeren Politisierung der Kulturarbeit?

Da hat sich viel gewandelt. Im bolivianischen La Paz konnte kürzlich ein südamerikanisches Rechtsextremisten-Treffen verhindert werden, weil der dortige Institutsleiter zusammen mit dem deutschen und dem israelischen Botschafter sowie dem Leiter der Jüdischen Gemeinde spontan eine Vortragsveranstaltung zur Geschichte Deutschlands von 1933 – 1945 und dem heutigen Rechtsextremismus organisierte. Es wurde lebhaft diskutiert, mit dem Ergebnis, dass der Aufmarsch in La Paz abgesagt wurde. Auch Außenminister Joschka Fischer stellt bei der auswärtigen Kulturarbeit die Herrschaft des Rechts in den Vordergrund. Vor dem gegenwärtigen weltpolitischen Hintergrund ist das besonders wichtig. Kultur muss im politischen Kontext begriffen werden, der durch Gewaltenteilung und den Rechtsstaat geprägt ist.

Goethe war Minister und Dichter. Dennoch ist eine Indienstnahme der Kultur für politische Zwecke nicht unbedenklich.

Das stimmt! Da ist Joschka Fischer zum Teil auch missverstanden worden. Das Goethe-Instiut soll nicht als Feuerwehr in Krisensituationen eingreifen. Der Kulturaustausch kann jedoch Konflikten vorbeugen – auch wenn man dafür einen langen Atem braucht. Gerade in repressiven, autoritären Systemen kann es gut sein kann, mit der deutschen Belletristik einen Zugang zu den Goethe-Besuchern zu finden. Aber auch die Allltagskultur kann als Transportmittel für Kultur dienen. Das Goethe-Institut schwimmt ja nun auch auf der Woge der Fußballweltmeisterschaft. Und am liebsten würde ich schon für Kinder den Zugang zu Goethe ermöglichen.

Sie sind erst ein paar Wochen im Amt. Was ist Ihre bisher auffälligste Erfahrung?

Das fusionierte Goethe-Institut Inter Nationes befindet sich in einem Prozess der Selbstvergewisserung. Der Personalwechsel an der Spitze wird als Aufbruchstimmung erlebt, die das Aufgabenverständnis neu formulieren hilft. Beide Institute haben noch mit alten Vorurteilen – auch untereinander – zu kämpfen. Inter Nationes galt lange als der Wurmfortsatz des Bundespresseamts. Und Goethe wurde von manchen als Institution betrachtet, die im Ausland das Unbehagen an der Innenpolitik formuliert. Es gibt aber den Wunsch nach einem gemeinsamen Arbeitsethos der fusionierten Institutionen.

Haben Sie vor Ihrem Amtsantritt Zusicherungen erhalten, dass Sie nicht das Aushängeschild für weitere Etat-Kürzungen werden?

Der Bundesaußenminister hat bei meiner Einführung gesagt, dass keine weiteren Institute geschlossen werden sollen. Auch von anderen Parteien habe ich Ermutigendes gehört. Spätestens seit dem 11.September ist klar: Diese dritte Säule ist wichtig!

Wie steht es um das Basisproblem der Sprachabteilungen: Stirbt das Deutsche aus?

In der Tat dominiert das Englische global immer stärker. In Mittel- und Osteuropa wird allerdings wieder viel Deutsch gesprochen: allein in Usbekistan von 10 000 Menschen. Wir müssen die gegenwärtigen Methoden, mit denen die Jugend sich die Welt erschließt, nutzen und haben deshalb die „Redaktion D“ ins Leben gerufen, die einen Multimedia-Sprachkurs im Internet anbietet.

Wollen Sie die Kooperation mit anderen europäischen Institutionen verstärken?

Im bolivianischen Santa Cruz haben alle Kulturinstitute aus der EU ein gemeinsames Institut gegründet. Auch in Brüssel, Kyoto und München arbeiten sie in einem Verbund. Wir werden uns auch künftig als Deutsche präsentieren, uns darüber hinaus aber als Europäer in einer globalisierten Welt zeigen.

Was machen Sie, wenn in unserem Nachbarland Italien Grundrechte wie Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz und publizistische Meinungsvielfalt in Gefahr geraten?

Da werden wir nicht den Mund halten.

Sie werden sich auch nicht scheuen, möglicherweise als „undiplomatisch“ zu gelten?

Nein. Denn das Goethe-Institut ist ein Forum, in dem über diese Dinge gesprochen werden muss. Insofern können wir auch unseren italienischen Partnern mehr abverlangen. Ich habe dort Kollegen, die vermutlich nicht bange wären, über solche Themen zu sprechen. Auch ich wäre durchaus bereit, dort aufzutreten.

Wie weit ist der Aufbau des Instituts in Kabul?

Im August wird ein Mitarbeiter vor Ort sein und die ersten Projekte wie die Ausstattung der deutschen Abteilung der Universtiätsbibliothek anschieben.

Wird die Zentrale des Goethe-Instituts auf Dauer in München bleiben oder planen Sie doch einen Umzug?

Berlin ist „in“ und als Stadt der Künste unser Exportschlager. Die Goethe-Zentrale wird aber in München bleiben – da bin ich eine Föderalistin erster Ordnung. Auch wenn die Präsidentin Berlinerin ist und hier lebt.

Das Gespräch führten Peter von Becker und Christiane Peitz.

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