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Kultur: Die lange Reise auf dem Fisch

Er vermittelte Kirchner-Gemälde an die Nationalgalerie: der Kunsthändler Wolfgang Wittrock über Liebhaber und Spekulanten

Berlin wirkt anziehend auf Kunsthändler aus dem Rheinland, die ihre Galerien geschlossen haben, aber dennoch mitspielen, wie Rudolf Zwirner, Paul Maenz und seit drei Jahren auch Sie. Inwiefern mischen Sie mit?

Auf verschiedenen Ebenen: händlerisch wie etwa beim Verkauf von Kirchners „Potsdamer Platz“ an die Neue Nationalgalerie oder durch den Freundeskreis der Grafischen Gesellschaft des Kupferstichkabinetts sowie die SchmidtRottluff-Stiftung. Nach über 30 Jahren Berufserfahrung bin ich eine Anlaufstelle bei der Vermittlung von Leihgaben an Museen. Außerdem stehe ich als Vorstand der Ferdinand-Möller-Stiftung in Kontakt mit dem kunstgeschichtlichen Seminar der FU.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Museen?

Bei Ausstellungen weise ich auf die richtigen Bilder hin und baue Brücken zu den jetzigen Besitzern, von wo sie ausgeliehen werden sollen. So habe ich in die Berlinische Galerie Kokoschkas Herwarth- Walden-Bildnis sowie sein ausdrucksstarkes Porträt von Felixmüller vermittelt.

Sie sind jedoch nicht nur freundlicher Vermittler, sondern auch scharfer Kritiker der Berliner Museen. Was läuft schief?

In Berlin wird Leihgebern ein zu großes Mitspracherecht eingeräumt. Die Entscheidung darüber, was ausgestellt wird, sollte allein beim Museum sein. Hier aber prägen private Sammlungen das Erscheinungsbild. Hätten die Häuser bessere Ankaufsetats, wären sie nicht auf Leihgaben angewiesen. Jetzt ist man gezwungen, im Paket zu kaufen, wovon man nur einen Bruchteil haben will. Die Erwerbung der Sammlung Marzona etwa war unsinnig. Statt einen Block für die Schublade zu kaufen, hätte man drei wichtige Arte-Povera-Werke erwerben sollen, von denen dann weltweit jeder Kenner sagen würde: Dafür müssen wir nach Berlin. Aber es kommt doch keiner für Tausende von Drucksachen, die eher als Archivmaterial einzustufen sind.

Gibt es angesichts der leerer Haushaltskassen überhaupt eine Alternative?

In Frankreich wird das anders gehandhabt. Dort hat man sich unabhängig von Leihgaben und privater Einflussnahme gemacht. Dazu gehört aber auch, dass man den Rummel um die zeitgenössische Kunst nicht mitmacht und nicht sofort ein Bild von 2005 kauft, sondern es sich erst im Kunstverein bewähren lässt.

Berlin ist jedoch Produktionsstätte der Kunst. Wäre es da nicht verheerend, abzuwarten, bis die Kunst teuer geworden ist?

Das ist eine Diskussion, die es seit Eröffnung des Berliner Kronprinzenpalais gibt, wo in den zwanziger Jahren Werke aus den Ateliers der Künstler präsentiert wurden. Dadurch wird ein Haus zwar lebendig, aber es leistet gleichzeitig bestimmten Künstler- und Händlercliquen Vorschub. In Berlin fehlt nach wie vor ein aktiver Kunstverein oder eine Kunsthalle als Zwischenglied. Aber Sie haben recht: So ist die Situation grotesk. Da wurde etwa dem Maler Dirk Skreber der Preis der Freunde der Nationalgalerie in Höhe von 100000 Mark verliehen und gleichzeitig kein Werk von ihm erworben. Damals hätte er es für 10000 Mark verkauft. In der vorletzten Woche hat ein Bild von ihm auf einer Auktion 400000 Dollar gekostet.

Wie in den Achtzigern ist derzeit eine enorme Beschleunigung der Preise zu beobachten. Der Boom endete seinerzeit mit einem Zusammenbruch des Marktes. Sehen Sie da auch heute Gefahren?

Natürlich, es gibt eine Inflation von Kunst. Die Messlatte für Kunst ist momentan sehr niedrig. Die Überhitzung zeigt sich an zeitgenössischen Werken, die vor einem Jahr noch 20000 Euro gekostet haben und nun das Zigfache erzielen. Bei Gerhard Richter oder Sigmar Polke hat es zehn Jahre gedauert, bis die Preise von 900 Mark auf 9000 gestiegen sind. Es geht heute nicht um die Kunst, sondern um Geldvermehrung.

Aber ist das nur eine Frage des Geldes? In der Kunsthalle Kiel beteiligen Sie sich mit den Berliner Sammlern Erika Hoffmann und Paul Maenz an einem Ausstellungsprojekt, bei dem Sie als Gäste mit Werken aus der eigenen Kollektion die Ausstellungsräume neu einrichten. Fehlt es in Berlin an kreativen Ideen?

Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind die Kunsthistoriker zu sehr damit beschäftigt, die geliehenen Sammlungen wissenschaftlich aufzuarbeiten – immer in der Hoffnung, dass die Werke später den Museen überlassen werden. Meiner Meinung nach müsste das umgekehrt sein: Die Museen sollten erst in Vorleistung gehen, wenn festgeschrieben ist, was sie bekommen.

Vom 6. bis 8. Mai findet ein Wochenende der offenen Galerien statt. 21 Kollegen haben sich zusammengeschlossen, um die „Einzigartigkeit der Stadt und ihrer Künstler zu feiern“ . Was halten Sie von solchen Aktionen?

Wenn sich ein Künstler oder eine Galerie für die Stadt entscheidet, ist das wunderbar. Daraus eine Touristenattraktion zu machen, halte ich für fragwürdig. Gemeinsame Unternehmungen fördern nur die Unterhaltung, nicht den ernsthaften Kunstdialog. Ein seriöser Sammler kennt die drei, vier wichtigen Galerien und findet sie auch ohne Shuttleservice und längere Öffnungszeiten.

Da haben Sie aber eine hohe Meinung von den Sammlern.

Ich spreche nicht von Kunstkäufern, sondern von echten Liebhabern, von denen es nur wenige gibt. Der Kunstbetrieb ist zur Spaßgesellschaft geworden durch die vielen Kunstmessen und solche Sonderveranstaltungen, auf denen letztlich nur gequatscht wird.

Also auch keine Kunstmessen, obwohl Sie sich bis vor kurzem noch an der Art Basel beteiligt haben?

Vor 30 Jahren galt es, dem jungen Publikum seine Schwellenängste zu nehmen. Das ging einher mit einer neuen Kunst, der „Konsumentenkunst“ à la Warhol. Inzwischen sind diese Hemmschwellen abgebaut. Wenn heute jemand Kunst sehen will, muss er nicht an die Hand genommen werden. Die Vermittlung ist durch Massentourismus nicht zu ersetzen.

Und wo ist der Ausweg?

Es gibt keinen, außer wir entkommen dieser Quantitätshysterie, der permanenten Vermeldung von Verkaufsrekorden. In amerikanischen Publikationen werden von den Galerien nur noch die Quadratmeterzahlen und von den Werken die Preise genannt. Adressat ist ein Publikum, das eher mit Zahlen als mit Inhalten umzugehen gewohnt ist. Diese Entwicklung zeichnet sich auch hierzulande ab, wo die wenigen Besucher der Gemäldegalerie den 1,2 Millionen der MoMA-Ausstellung gegenüberstehen, die dann zum Maßstab für die Politik werden. Dabei ist es ein Irrglaube, dass diese vielen Menschen weiterhin ins Museum gehen. Sie kommen erst zum nächstgrößeren Event.

Und was würden Sie einem jungen Kunsthändler empfehlen?

Ich würde zunächst allen abraten, die nur geschäftliche Interessen verfolgen. Wer eine Berufung verspürt, sollte beherzt eine Richtung verfolgen. Die Vermittlung von Beckmanns „Reise auf dem Fisch“ in wirtschaftlicher schlechter Zeit war das Schlüsselerlebnis, mein Angebot zu beschränken: wenig, aber dann das Richtige. Man sollte nur vermitteln, was es wert ist, vermittelt zu werden.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Katrin Wittneven.

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