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Kultur: Die Legende vom Verrat des Joschka F.: Michael Schwelien hat eine Biografie des beliebtesten grünen Politikers geschrieben

Politik kann paradox sein. Über nichts ärgern sich die Deutschen in diesen Wochen mehr als über die Benzinpreise und die Ökosteuer, also gerade über das kleine bisschen Grün, das die Regierung Schröder ihnen zumutet.

Von Hans Monath

Politik kann paradox sein. Über nichts ärgern sich die Deutschen in diesen Wochen mehr als über die Benzinpreise und die Ökosteuer, also gerade über das kleine bisschen Grün, das die Regierung Schröder ihnen zumutet. Im gleichen Atemzug aber erklären sie in Umfragen den Grünen-Politiker Joschka Fischer zum beliebtesten Politiker. Wenn sie im Urlaub, in der schönsten Zeit des Jahres, ein Mitglied des Kabinetts ertragen müssten, dann würden sie auch dorthin am ehesten den heruntergehungerten Außenminister mitnehmen. Auf die Rolle des ewigen Buhmanns dieser Regierung hat sich nun einmal Jürgen Trittin festgelegt.

Es ist sicher ein Kunststück, der bekannteste Kopf einer ökologischen Partei zu sein, ohne für die Folgen von deren Politik verantwortlich gemacht zu werden - ein Kunststück, das erklärt sein will. Fast kopfschüttelnd nimmt der Autor von Fischers jüngster Biografie die hohen Popularitätswerte zur Kenntnis. Es gibt eine ganz besondere Beziehung des Journalisten Michael Schwelien zu dem Politiker, der nie ein ökologischer Apostel sein wollte. Schwelien ist dem Objekt seiner Neugierde schon vor langer Zeit begegnet und hat sich, so schreibt er, selbst in der revolutionären Frankfurter Szene der 70er Jahre herumgetrieben, die Fischer geprägt hat. Er scheint manche ihrer Hoffnungen geteilt zu haben.

Aktuell geschriebene Biografien von Politikern, die noch in Amt und Würden sind, sind ein heikles Vorhaben: Fast immer fehlen die Quellen, oft fehlt die Distanz. Da gibt es die drögen Autoren, die ohne Standpunkt Station für Station eines öffentlichen Lebens vorüberziehen lassen, die Hagiografen, die ihren Akteur ohne Rücksicht auf Verluste zum Siegertyp mit unerschütterlichen Grundsätzen verklären. Schweliens Buch gehört zu keiner dieser Kategorien. Es ist weder langatmig noch schont es seinen Helden. Im Gegenteil: Der Autor scheint getrieben von der Absicht, Fischer nicht nur zu verstehen, sondern zu entblößen - ein Geheimnis aufzudecken, das der verbreiteten Wertschätzung dieses Politikers für immer die Grundlage nimmt. Beim Leser aber wächst nicht das Misstrauen gegenüber dem Machtmenschen Fischer, sondern gegenüber dem Autor, dem vielleicht der Schmerz über den Verlust des alten Widerstandsgeists die Feder führt.

Es ist also eine Verratsgeschichte geworden, allerdings eine, die stellenweise besser recherchiert ist und differenzierter argumentiert, als das bekannte Fischer-Gegner tun. In ihrem Zentrum steht der Kosovo-Krieg und Deutschlands Rolle darin. Der Minister, der den ersten Einsatz deutscher Kampfjets seit dem Zweiten Weltkrieg mitverantwortete, nutzt nach Schweliens Urteil seine Möglichkeiten zur Verhinderung dieses Krieges nicht aus, beugt sich stattdessen willig und machtgierig "dem Marschbefehl aus Washington" und zeigt "Vasallentreue zu den Amerikanern".

Schwelien interessiert sich wenig dafür, dass schon der erste Balkankrieg die deutsche Linke in eine dramatische Auseinandersetzung trieb, in einen Lernprozess, in dem sie schließlich alte Gewissheiten aufgab und militärische Gewalt als letztes Mittel akzeptierte. Das Ergebnis dieser Diskussion muss nicht jedem gefallen, aber es kam durch Anteilnahme und Argumente zu Stande, nicht durch jenen Macht- und Karrierewillen, den Schwelien Fischer ständig nachweisen will. Es ist auch schwer, einem Politiker Verrat vorzuhalten, der in seinen Vorstellungen von Europa und von Deutschlands Rolle schon lange Kohls Pathos mehr verbunden war als Schröders forschem und manchmal unverbundenem Pragmatismus.

"Schnell laufen und Karriere machen" - das bleibt als Hauptvorwurf an den Politiker Joschka F., der aus der deutschen Provinz kam, in der randalefreudigen Frankfurter Gruppe "Revolutionärer Kampf" sein rhetorisches Talent entdeckte und heute die US-Außenministerin beim Vornamen nennt. Die neuen Belege für Fischers zynischen Umgang mit Menschen, den seine Opfer bezeugen, mit den Medien und seiner Herkunft machen die schiefe Grundkonstruktion des Buches nicht wett. Fischers Symbiose mit seiner eigenen Partei, deren Riten er verachtet, die seinem politischen Instinkt aber sehr viel verdankt, leuchtet Schwelien kaum aus.

Spannender als die Frage nach der Herkunft des Grünen-Matadors ist momentan die nach seiner Zukunft und der seiner Partei. Das öffentliche Lernen Fischers hat seine Modernität ausgemacht, es war aber auch ein Aufholen. Fischer hat seine Partei zum außenpolitischen Realismus gezwungen. Mehr ist auf diesem Feld in Zukunft nicht zu gewinnen. Als ein Politiker, der dem Sozialstaat alter Prägung verpflichtet ist und die Chancen einer sozial bewussten Zivilgesellschaft kaum versteht, kann er seine Partei auf anderen Feldern nicht vorantreiben. Wer in Fischer allerdings nur den außenpolitischen Karrieristen sieht, begreift diese große Herausforderung für ihn nicht. Ein Scheitern des Politikers Fischer mit den Grünen ist durchaus möglich - aber aus der Biografie, wie Schwelien sie beschreibt, lernt man über diese Gefahr sehr wenig.

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