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Vor dem Zoo-Palast posiert das Team des mexikanischen Films „Die Maurer“.

© Erika Rabau/Deutsche Kinemathek

Die letzte Sommer-Berlinale 1977: Laue Nächte und heiße Debatten

Vor 40 Jahren fanden die Berliner Filmfestspiele zum letzten Mal im Sommer statt. Erinnerungen an das Ende einer Ära.

Luftig und leicht fühlte sie sich an, die Sommer-Berlinale 1977. Es war die letzte ihrer Art, vor 40 Jahren. Im Tagesspiegel vom 7. Juli1977 schrieb Volker Baer nur lapidar: „Das also waren die 27. Berliner Filmfestspiele. Die 28. sollen – erstmals zum neuen Termin – bereits in gut sieben Monaten folgen: Ende Februar, Anfang März 1978.“ Riesending, so eine Terminverschiebung, aber die Zeitungen vermeldeten es nur kurz. An diesem Donnerstag eröffnet die 67. Berlinale – Zeit, im frostigen Festival-Februar auf die sonnigen Zeiten von damals zurückzuschauen.

Voller Elan eröffnete der frisch gekürte Berlinale-Leiter Wolf Donner, zuvor Filmkritiker der „Zeit“, den 1977er Jahrgang am 25. Juni im Zoo-Palast. Nach einem Frühjahr der extremen Temperaturwechsel und Unwetter zeigte sich der Hochsommer von seiner passablen Seite. Peter Bogdanovichs Eröffnungsfilm „Nickelodeon“, eine Gaunerkomödie um ein Vater-Tochter-Paar und eine Hommage an den anarchischen Witz des Stummfilmkinos, sorgte für zusätzliche gute Laune.

Lakonisch fasst die Filmproduzentin Regina Ziegler ihre Stimmung von damals in einen Vierzeiler: „Es war Sommer, ganz Halb-Berlin war voller Festival. Der Zoo-Palast war das Rathaus in diesen zwei Wochen. Die Branche traf sich in der Paris Bar. Es wurde viel improvisiert.“ Die Erwartungen waren hoch. Von Wolf Donner, der den Leitungsjob als Außenseiter errungen hatte, erhofften sich die versammelten Prominenten, Politiker, Branchenhäuptlinge und Cineasten ein runderneuertes Festival. Kaum jemandem war bewusst, dass sein Einstand auch einen Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten nach sich ziehen sollte, denn ein gutes halbes Jahr später begann die Ära der Mützen, Handschuhe und geknüllten Wintermäntel. Es war vorbei mit den Vogelkonzerten nach langen Film- und Partynächten. Die Festivalgästen wurden neben der Akkreditierung mit Pudelmützen ausgestattet - das Accessoire zierte sogar das Berlinale-Plakat.

Jurorin Senta Berger beim Bootsausflug auf der Havel.
Jurorin Senta Berger beim Bootsausflug auf der Havel.

© Erika Rabau/Stiftung Deutsche Kinemathek

Gegen Wolf Donners Konzept einer klügeren Terminierung vor der Oscar-Verleihung und dem Filmfest von Cannes als größtem Konkurrenten sprach logistisch gar nichts. Aber der Preis war hoch: keine lauen Lüfte mehr, keine lockere Kleidung, dafür verringerte Erkältungs-Resilienz. Christa Maerker, die lange Zeit für die Berlinale arbeitete, erinnert sich an die Folgen: „Anstrengend war’s, weil man gleich gar nicht mehr ins Bett kam.“

Im Sommer 1977 ging die Zeit der Gartenfeste im Schlosshotel Gehrhus in Dahlem zu Ende, auch mit dem Berlinale- Schiffsausflug auf der Havel war es vorbei. In der Stiftung Deutsche Kinemathek im Filmhaus am Potsdamer Platz lagern die Fotoschätze von damals, Bilder von Erika Rabau, mit Senta Berger bei der Bootstour, internationalen Gästen auf Oldtimer-Tour, Bikini-Beautys beim Schönheitswettbewerb, den das Big Eden damals gern während der Berlinale veranstaltete. Stars im T-Shirt, Interviews im Gartencafé. Reminiszenzen an diese letzte Sommer-Berlinale kommen nicht ohne Wehmut aus. So war es nie wieder. Zumal der 27. Jahrgang in der damals skandalträchtigen Chronik der Filmfestspiele wie ein ruhender Pol wirkte.

Jurorin Ellen Burstyn nimmt an einer Oldtimer-Tour teil (re. im Bild).
Jurorin Ellen Burstyn nimmt an einer Oldtimer-Tour teil (re. im Bild).

© Erika Rabau/Stiftung Deutsche Kinemathek

Die Geschichte der politischen Zerreißproben für die Berlinale füllt ganze Bücher. Erst 1976 war es hoch und hitzig zugegangen: Die Beschlagnahmung der Kopie von Nagisa Oshimas „Im Reich der Sinne“ hatte ein langwieriges Verfahren gegen den Leiter des Internationalen Forums, Ulrich Gregor, zur Folge. Der Vorwurf: Pornografie und Gewaltverherrlichung. Die Gregors hatten den französischen Verleiher gleich nach der Beschlagnahme um eine zweite Kopie gebeten, die dieser unverzüglich persönlich überbrachte. Um weiteren Zugriffen des Staatsanwalts zu entgehen, erklärten sie die Festival-Vorführung zu einem internen Abend der Freunde der Kinemathek. Erika Gregor stellte in der Lobby der Akademie der Künste am Hanseatenweg die nötigen Ausweise aus, es waren viele.

1979, bei der zweiten Winter-Berlinale, kam es noch heftiger. Wegen der Proteste der Ostblockdelegationen gegen Michael Ciminos Vietnamkriegsdrama „The Deer Hunter“ drohte ein Abruch des Festivals. Eine diplomatische Herkulesaufgabe für Wolf Donner, den jungen Chef, der daraufhin seinen Vertrag vorzeitig kündigte. Ab 1980 dirigierte Moritz de Hadeln das Festival, bis 2001.

Wettbewerb der Bikini-Beautys: Das Big Eden nutzte den Anlass der Berlinale, um eigene Wettbewerbe auszutragen.
Wettbewerb der Bikini-Beautys: Das Big Eden nutzte den Anlass der Berlinale, um eigene Wettbewerbe auszutragen.

© Erika Rabau/Stiftung Deutsche Kinemathek

Mitten in diesen turbulenten Zeiten erwies sich die letzte Sommer-Berlinale 1977, die wegen des Brötchens auf dem Festivalplakat auch als Schrippen-Berlinale in die Annalen einging, als Schauplatz eines friedlichen Wettstreits der Filmkunst. Unter anderem liefen neue Werke von Robert Bresson, François Truffaut und Niklaus Schilling sowie Werkschauen von Yilmaz Güney und Ula Stöckl. Zum zweiten Mal in der Geschichte des Festivals gewann eine Frau den Goldenen Bären, die sowjetische Regisseurin Larissa Schepitko, nach der Ungarin Marta Meszaros 1975. Wenige Wochen später beherrschte der Deutsche Herbst die Schlagzeilen, mit den Terrorakten der RAF und den Selbstmorden in Stammheim.

Aber noch war Sommer in Berlin. Während die deutschen Regisseure auf dem Festival ihre Unzufriedenheit mit den westdeutschen Verhältnissen artikulierten und Jury-Mitglied Rainer Werner Fassbinder demonstrativ seinen Umzug nach New York ankündigte, verteilte der schlaksige Festivalchef Flyer auf dem Kurfürstendamm. Jeanine Meerapfel, heute Präsidentin der Akademie der Künste und damals als Lebensgefährtin Wolf Donners nah am Geschehen, erinnert sich gut daran. Man nutzte das gute Wetter, um auch T-Shirts mit dem Jahrgangs-Logo zu präsentieren: die angebissene Schrippe mit einem Stück Filmstreifen als Belag. Selbst Truffaut, der mit „Der Mann, der die Frauen liebte“ gekommen war und es sich auf der Terrasse des Delphi-Kinos gut gehen ließ, zog das Schrippen-Shirt über.

Und Regisseur François Truffaut signiert auf dem Kurfürstendamm das Festival-Poster.
Und Regisseur François Truffaut signiert auf dem Kurfürstendamm das Festival-Poster.

© Erika Rabau/Stiftung Deutsche Kinemathek

Auch hartgesottene Cinephile ließen es locker angehen und nahmen sich die Zeit, in einem der Lokale zwischen Ku’Damm, Kantstraße, Savigny- und Steinplatz coole Sonnenbrillen zur Schau zu tragen oder nach spontan anberaumter Zusatz-Nachtvorstellung im Filmkunst 66 bei Sonnenaufgang noch eine Pizza zu verdrücken.

Entspannungspolitik mit anderen Mitteln: Die politischen Differenzen zwischen Ost und West – nach Manfred Krugs Übersiedlung in den Westen wenige Tage vor Festivalbeginn – hielten sich in Grenzen; die Wettbewerbsteilnahme von Konrad Wolf war nicht infrage gestellt. Der Trubel blieb überschaubar, Publikum, Fachbesucher und Stars mischten sich munter. Die Berlinale war egalitärer als heute, meint die britische Filmemacherin und Schauspielerin Cynthia Beatt, die damals für den Spielort in der Akademie der Künste am Hanseatenweg mitverantwortlich war. Der Regisseur Rudolf Thome, der das Forums-Kino leitete, verrichtete seinen Dienst auch mal in kurzen Hosen.

Luftige Kleidung, ade? Das Forum Expanded hat 2013 bewiesen, dass es auch im Februar geht, im Liquidrom von 22 Uhr bis 2 Uhr morgens. „Für die Betrachtung der Installation aus dem Pool heraus ist Badekleidung nötig“, stand im Programm. Berlinale-Gäste in Badehosen, im dampfenden Außenpool – und das mitten im Winter.

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