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Kultur: Die Liebe in der Speiseröhre

Salzburger Ameisen: Puccinis „Turandot“, bearbeitet von Luciano Berio – eine lärmende Festspiel-Inszenierung

Von Christine Lemke-Matwey

Gran Canaria, Los Angeles, Amsterdam, Salzburg: Ein Stück erobert die Welt neu. Und es ist, als wollte sich die Welt, indem sie ihr Haupt beugt, ein Stückchen letzte Absolution erkaufen. Giacomo Puccinis „Turandot“, so sagt jener Siegeszug, ist kein postwagnerianischer Schmachtfetzen und auch keine China-Oper, keine spätkolonialistisch-eskapistische Kunstfantasie, sondern das opus summun eines unterschätzten, verkannten, bis heute immer wieder grausam misshandelten Komponisten. Der das sagt (oder zumindest vermuten lässt), ist Puccinis Landsmann und Nachfahre Luciano Berio, den der Ricordi-Verlag gemeinsam mit dem „Festival de Musica de Canarias“ vor drei Jahren beauftragte, dem Fragment gebliebenen, aber durchaus populären dramma lirico einen neuen Schluss zu geben. Gewiss, es gab und gibt die Toscanini-Variante der Uraufführung von 1926 – Taktstock und Vorhang just an der Stelle fallen zu lassen, über der der schwer krebskranke Meister am 29. November 1924 gestorben war, nämlich über der volltrunkenen Trauermusik der liebenden Selbstmörderin Liu; und es gab und gibt das insgesamt 377 Takte umfassende Finale aus der Hand des seinerzeit ebenfalls von Ricordi angestellten Komponisten Franco Alfano (einer Empfehlung Toscaninis!), welches in einer schwerblütigen Chor-Apotheose noch einmal den absoluten Renner der Partitur, Calafs „Nessun dorma“, aufwallen lässt und das hohe Paar auf die Revueleiter schickt. Beide Varianten erschienen der Musikwelt verständlicherweise nie wirklich befriedigend.

Exotisches Brimborium

Die dramaturgische Crux des Stückes jedoch, warum und wann genau sich die eiskalt männerfresserische Prinzessin Turandot in das mit einem Schlag zur Liebe erlöste Weib verwandelt, sie konnte oder wollte auch Luciano Berio nicht lösen. Anders noch, radikaler: Die programmatische Verhaltenheit seines Schlusses, das Verwehen, das Verklingen des mörderisch überhöhten Geschehens in ein feingespinstigstes, skeptisches Pianissimo, die vielfältigen, wiederum polystilistischen Anleihen bei Strawinsky und Richard Strauss, bei Mahler, ja bei Schönberg und also: die Rehabilitierung Puccinis als „europäisch“ denkender, sich sehr wohl an den kompositorischen Problemen seiner Zeit abarbeitender Melodramatiker – dieses alles hätte eigentlich dazu aufgefordert, das Ganze von hinten und von seinem abgebrochenen, fragend ins 20. Jahrhundert hinein ragenden Ende her zu lesen. Berio klopft den Echoraum des Stückes ab, setzt auf eine Ästhetik des Utopischen, auf das Gedächtnis des Werkes selbst und schürft und forscht danach, was Puccini nicht gewusst haben könnte – und „Turandot“ längst weiß. Statt „Nessun dorma“ jedenfalls ertönen am Ende noch einmal Motive aus der großen Rätselszene des zweiten Aktes: Wohin Turandot und Calaf, die beiden einander so plötzlich Verfallenen letztlich gehen, und ob die Liebe auch die Welt des 21. Jahrhunderts noch zu erlösen vermag, das bleibt im Wortsinn fraglich.

Fast möchte man es bedauern, dass sich Luciano Berios Finale durch Eingriffe in den Librettotext und ein genaues Studium der überlieferten Skizzen von Anfang an so klug zu beschränken weiß – im Sinne einer, wie Berio sagt, mehr „orientalischen“, mehr schwebenden Sicht der Dinge (der geübte Nachschöpfer übrigens soll, so flüstern die Latrinen, mit Prozenten an sämtlichen Abendeinnahmen seiner Fassung beteiligt sein, woraus sich längst ein nettes Sümmchen errechnet haben dürfte). Einerseits ist das Ganze also schlicht zu kurz, um Puccinis Partitur tatsächlich neu zu werten. Andererseits aber – und dieser Einwand wiegt schwerer – scheinen weder das Regieteam um David Pountney (Bühne: Johan Engels, Kostüme: Marie-Jeanne Lecca) noch die Wiener Philharmoniker unter Valery Gergiev noch die angereisten Sängerstars auch nur entfernt begriffen zu haben, um was es hier geht. Gergiev und Pountney spielen „Turandot“ – und kleben auf ihre hausbackenen Klischees ein neues, huch, textkritisches Etikett. Mit anderen Worten: Es ist exakt so laut, so lärmig und so schreiend bunt, wie „Turandot“ seit 1926 offenbar laut, lärmig, schreiend bunt zu sein hat. Großes zirzensisches Spektakel, beständiges Triumphgeheul, Menschen wie Ameisen so winzig und nichtig in einer ewig rotierenden, gefräßigen Musikmaschinerie. Keine Spur von Kammerspiel, von Intimität, welche die Musik – ganz ähnlich wie bei Verdi „Aida“! – schließlich auch verheißt (und zwar nicht nur bei Liu, deren Verlorenheit und Opfermut Cristina Galardo-Domàs mit elfengleichem, passioniertem Melos erwärmt); und kein Schimmer von einer andersartigen, eben nicht an Wagners „unsichtbarem“ Identifikationstheater geschulten und zu messenden Ästhetik, die wohl eher auf Brüche setzt, auf ein Patchwork des zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade noch Opernmöglichen und auf die Entfremdung des Menschen aus jeder überschaubaren Wirklichkeit. Deshalb diese Stoffwahl, dieses China und das ganze quasi exotische Brimborium um alte Kaiser (Robert Tear), besorgte Herrscherväter (Paata Burchuladze als Timur), lustige Minister mit lustigen n (Ping, Pang, Pong: Baaz Daniel, Vicente Ombuena und Steve Davislim) und eherne Gesetze und Erlasse. Der alte Mendelssohn-Satz, dass die Musik viel zu konkret sei, um sie in Worte zu fassen, lässt sich mühelos auf Puccini ummünzen; Auch Puccini ist letztlich viel zu konkret, zu nah dran am richtigen Leben, um beim Wort genommen werden zu dürfen.

So haut man auf die Pauke

Wo Valery Gergiev also buchstäblich auf die Pauke hat und das Festspielhaus unter der Rückkehr des zu Gerard Mortiers Zeiten Verfemten erzittern lässt (das Lyrisch-Melodiöse hingegen gerät dem Maestro mit den lockeren Handgelenken zuweilen arg seifig, ja larmoyant), da scheint sich David Pountney darauf besonnen zu haben, dass er ab 2004 die Leitung der Bregenzer Festspiele übernimmt. Riesige Zahnräder und Hebel greifen rechts und links der Bühne ineinander, riesige chinoise Stabpuppen nicken rechts wie links zum Geschehen herein, Prinzessin Turandot west in einem riesigen, weltkugelartig angemalten Frauenkopf und versinkt, kaum hat Calaf die drei Rätsel gelöst, samt Treppe und goldener Schleppe wohl in dessen Speiseröhre, und der Chor tut sein Bestes, um der legendären Tonkriegerarmee aus der Qin-Dynastie ähnlich zu sehen. Gewiss, zum guten bösen Schluss hin leert sich die Szene, tritt man schon mal in Alltagsklamotte oder Nachthemdchen auf. Das allein freilich reicht nicht, um eine Geschichte zu erzählen bzw. um hier keine Geschichte zu erzählen und glaubwürdig zu ein. Selbst die Protagonisten blieben denkbar blass: Gabriele Schnaut, die sich anfangs hörbar um stilistische Modulation und Farben bemühte, spätestens bei der Rätselstellung jedoch in ihr spitzes Schreien und Pressen von Tönen verfiel, als durchgehend finstere, verkniffene Turandot; Johan Botha als ganz ungerührter, panzermäßig hinaus- und hereinrollender Calaf, von dessen „Nessun dorma“ man nicht sagen kann, dass es besonderen Schmelz oder überirdisch-verführerische Strahlkraft besessen hätte. Gemessener Beifall. Eroberungen brauchen eben Eroberer – auch und gerade, wenn in Salzburg das Wasser vom Himmel fällt.

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