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Kultur: Die Liebe zum Sandkorn

Immer auf Wanderschaft: Richard Long zeigt eine großartige Installation bei Haunch of Venison

„Meine Kunst handelt von Arbeit in der weiten Welt, wo auch immer“, hat Richard Long zur Documenta 7 1982 geschrieben: „Ich hoffe, Bilder und Gedanken zu schaffen, die in der Vorstellungskraft widerhallen, die die Erde wie auch den Geist berühren.“ Präziser kann man kaum umreißen, was sein künstlerisches Œuvre auszeichnet. Long, 1945 im englischen Bristol geboren und bis heute dort zu Hause, hat überall gearbeitet, er hat die ganze Welt unter seine Füße genommen, ist gewandert, tage- und wochenlang, hat seine Wanderungen dokumentiert, Steine gesammelt und Treibholz und sich schließlich um every grain of sand gekümmert, in jenem kongenialen Sinne, in dem er sich den gleichnamigen, bedeutungsschweren Song von Bob Dylan anverwandelt hat.

„Ich liebe den Gedanken, die Erde zu nutzen, ohne sie zu besitzen.“ Auch das ein Kernsatz Richard Longs. Berühmt geworden und zum Stammgast im internationalen Kunstbetrieb ist der Turner-Preisträger des Jahres 1989 mit den steinernen, seltener auch hölzernen Kreisen, die er aus Fundstücken auslegt; und ebenso mit Wandgemälden aus dem Schlamm des Avon, des Flusses seiner Heimat. Eine solche Installation – ein Halbkreis an der Wand, ein Halbkreis auf dem Boden – hat Long jetzt in der Berliner Galerie Haunch of Venison geschaffen. Es ist eine Arbeit, die niemand besitzen kann, jedenfalls nicht in Gänze. Der Lehm wird eines Tages von der Wand gekratzt werden, die Steine eingesammelt; selbst sie, die doch überdauern, werden so, wie sie der Künstler angeordnet hat, nicht wieder zu sehen sein. Kleine und große Brocken stehen gegeneinander, gerundete gegen kantige; dramatischer als so manch früherer Steinkreis ist dieser in der kargen Hülle der ehemaligen Fabrikhalle.

Im hinteren Raum der Galerie ist eine Reihe fotografischer Arbeiten zu sehen, die die Wanderungen des Künstlers dokumentieren. Sie zeigen Long als einen großartigen Landschaftsfotografen; obwohl dieser Aspekt bei den in Berlin gezeigten sechs Fotoarbeiten (ab 30 000 Dollar netto) überhaupt nicht im Vordergrund steht. Vielmehr dienen die Aufnahmen der Natur als Folie für schriftliche Informationen, die Ort und Dauer der Wanderung, aber auch einzelne Gedanken und Assoziationen betreffen. Aus anderen Ausstellungen kennt man umfangreichere Dokumentationen von Arbeiten Longs, die sich – wie im Falle der Wanderung durch das Stammesland der Wali im indischen Maharashtra 2003 – bis in die Nähe einer ethnologischen Expedition bewegen können. Aber das ist ein Grenzfall; Long bleibt gern für sich; „allein, nicht einsam“, wie er, der als Künstlerkollege hoch geschätzt wird, stets betont.

Die weite Welt, die Long dem Betrachter in der Mannigfaltigkeit ihrer je einzigartigen Schönheit vor Augen führt und die in der Berliner Ausstellung von den Pyrenäen bis nach Südafrika reicht, ist für seine Kunst mitnichten wesentlich. Ihm genügt das karge Dartmoor, das er von Bristol aus immer und immer wieder aufsucht. Wenn er, aus welchem Grund auch immer, am Reisen gehindert würde, so könne er auch „in einem Umkreis von 15 Meilen um Bristol herum arbeiten“, wie er in einem Interview einmal gesagt hat.

Damit weist Long auf den konzeptuellen Kern seiner Arbeit. Denn so großartig die Steinarbeiten auch sein mögen, so wild und unberührt die Landschaften seiner Fotografien: Sie stehen doch nur stellvertretend für die Erfahrung, die der Künstler macht, die aber jeder Betrachter für sich selbst gleichermaßen erlangen kann. Es geht nicht um Steinkreise, um Pfade im Dickicht, um das Ausschreiten von Entfernungen über die Widrigkeiten der Geografie hinweg. Es geht um das ureigene Verhältnis des Ich zur Welt, um die Markierung beider Differenz wie zugleich die Möglichkeit, sie sinnlich und intellektuell zu überbrücken. Es geht – so einfach wie pathetisch – um Erkenntnis auf einem Weg, den wir heutzutage unter „Kunst“ rubriziert haben.

„Then onward in my journey I come to understand / That every hair is numbered like every grain of sand“, heißt es bei Dylan. Richard Long hat unseren Blick darauf gelenkt, dass alles gezählt ist und nichts vergessen, und dass die Schönheit in dem liegt, was uns als derart flüchtig erscheint, dass wir es erst im Brennglas der Kunst wahrnehmen, und sei es ein Sandkorn. Denn, wie Long einmal die Größenverhältnisse zurechtgerückt hat: „Meine Steine sind wie Sandkörner in der Landschaft.“ Aber was für Sandkörner!

Haunch of Venison, Heidestraße 46, bis 6. September. Di–Sa 11–18 Uhr.

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