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Kultur: Die Liegestützen bitte nicht persönlich nehmen!

"Oh Gott, schon wieder Sex!" stöhnt Sophie Rois genervt.

Von Sandra Luzina

"Oh Gott, schon wieder Sex!" stöhnt Sophie Rois genervt. Ja, schon wieder Sex. René Pollesch, Prater-Chef und mittlerweile so etwas wie der Frauenbeauftragte der Berliner Bühnenaktivisten, verordnet noch mehr Sex - in Diskurs-Form, versteht sich. In der "Dauerverständigung", die Pollesch mit seinen Prater-Produktionen anstrebt, haben sich all diese "Frauen unter Einfluss" eigentlich schon darauf geeinigt: Mit der nicht anerkannten, unbezahlten Gefühlsarbeit und Liebesproduktion in diesem Zuhause-Bordell muss Schluss sein! Frauen, ihr seid in der Dienstleistungbranche tätig. Das wird Pollesch nicht müde uns einzuhämmern: Verwertungs- und Vermarktungszwänge der New Economy lassen auch die Privatsphäre nicht unangetastet.

Und hier kommt nun also Mae West ins Spiel. Die Sexbombe, die für ihre flotten Sprüche und ihren schlagfertigen Witz berühmt war. Wir müssen alle wie Mae West werden, ruft uns Pollesch zu. Von Mae West lernen, heisst: die eigenen Liebesverhältnisse revolutionieren. Mae West schrieb 1926 ein comedy drama mit dem Titel "Sex". Die Uraufführung am Broadway wurde zum Skandal. West, die die Prostituierte Margy LaMont spielte, wurde verhaftet. So ungeschminkt und direkt wurde da über die käufliche Lust thematisiert, das war zuviel für das puritanische Amerika. Pollesch erklärt uns die historische Leistung: "Mae West holte den Begriff Sex aus dem klinischen Diskurs und überantwortete ihn direkt der Ökonomie." Das soll also zusammen gedacht werden: Sex und Geld, Gefühle und Ökonomie, Liebe und Arbeit.

Die drei Schwestern, die sich darin üben, Mae West zu werden, sind diesmal Sophie Rois, Caroline Peters und Inga Busch. Bert Neumann hat sie mit Billig-Chic aufgerüscht: Kleider aus rosa Chinaseiden-Imitat, dazu Straßschmuck, Haarspangen, Armbänder - eine Glitterorgie. Im Tal der Puppen. Diese Puppen kreischen aber: "Ich bin so harmlos". Man glaubt, bei allen Frauen im Publikum eine klammheimliche Zustimmung zu spüren. Pollesch weiß, was Frauen wünschen. Er belehrt uns, dass unsere Wünsche zu unserer Ausbeutung beitragen. Das weibliche Dilemma hat er klar erkannt. Frauen sind das ausgebeutete Geschlecht in einer Männer-Ökonomie. Irgendwo stecken geblieben zwischen erzwungener Anpassung und hilflosem Aufbegehren. Doch werden bei Pollesch nicht aus Telearbeiterinnen Partisaninnen? Sophie Rois denkt angestrengt nach: Sie weicht ab von der Ästhetik Polleschs, der heißlaufende Textmaschinen braucht, keine Schauspieler mit Ausdruckswillen. Sophie Rois kaspert rum, gönnt sich den Luxus des Spielens bei hoher Textdichte, changiert zwischen komischer Verzweiflung und rabiater Aufmüpfigkeit.

Caroline Peters, eineKampfgefährtin des Regisseurs, feuert ihre Parolen wie Munition ab. Inga Busch, die Jüngste, doziert cool über heterosexuelle Zwangsverhältnisse, mehr analytisch denn hysterisch. "Was ist denn Sex? Was mach ich da eigentlich, wenn ich Sex mache?" Sophie Rois denkt immer noch nach. Also, wie macht das Mae West: Wenn die sich mit Männern konfrontiert - das tat sie ja ständig - drehte sie da nicht die Machtverhältnisse einfach um? Und schaffen es nun die drei Schwestern, wie Mae West zu werden? Zuvor müssen sie sich jedenfalls verabschieden von ihren Vorstellungen zur weiblichen Subjektivität. Die ja doch nur marktkonform ist.

Musik-Clips unterbrechen den Sex-Diskurs. Die Darstellerinnen absolvieren Liegestütze, zeigen ihre Muskeln und Tattoos. Sophie Rois schwingt sich in den Kronleuchter. Das muss etwas mit den strapaziösen Sexpraktiken von Ehepaaren zu tun haben. Von diesen Frauen wird gefordert, dass sie ihre Gefühle von außen anschauen, dass sie ihr Begehren von keinem Porno regulieren lassen - und dass sie überhaupt den Sex nicht so persönlich nehmen. Aber sie können sich von den alten Glückversprechen nicht lösen.

Wie immer versucht Pollesch, das Politische und Private zusammendenken. Das Bomben wird zur bevorzugten Metapher: Mae West, die Sexbombe, wollte Sex reinbomben in den Broadway. Die drei Schwestern wollen ihre eigenen Liebesverhältnisse bombardieren. Die Sprengkraft der Daueragitation á la Pollesch liegt vor allem in der Komik. Und verdammt komisch sind diese freien Radikalen in ihrem angestrengten Versuch zu verstehen: "Was ist denn eigentlich Sex?"

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